„What is the difference between lawyers and accountants? – Accountants know they are boring.“
Wohl für kein Rechtsgebiet trifft dieser alte Anwaltswitz so zu wie auf das IT-/IP- und Datenschutzrecht. Während die Unternehmen und Nutzer vor allem technologisches Neuland betreten wollen, sind die in diesem Bereich tätigen Juristen fasziniert von der täglichen Aufgabe, die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien rechtlich zu fassen.
Das Informationstechnologierecht (IT-Recht) befasst sich mit dem Recht der elektronischen Datenverarbeitung. Das IT-Recht ist eine Querschnittsmaterie, zu der zivilrechtliche, öffentlich-rechtliche und strafrechtliche Aspekte gehören. Beispiele sind das Vertragsrecht, das Urheberrecht, das Telemedienrecht und das Datenschutzrecht.
Software und softwarebasierte Dienste werden verkauft, für Auftraggeber entwickelt oder über das Internet zur Nutzung zur Verfügung gestellt. Auch ganze operative Aufgabenbereiche werden von Unternehmen an IT-Dienstleister ausgelagert („outsourced“) – entsprechend komplex sind die Vertragswerke.
Da sich mittlerweile sämtliche Branchen durch die Informationstechnologie verändern, kommt die Praktikerin mit vielen anderen Materien in Berührung. Unterliegt ein Outsourcing-Kunde zum Beispiel der Finanz- oder Versicherungsaufsicht, sind die Anforderungen des Aufsichtsrechts auch für den Outsourcing-Dienstleister relevant. Ist der Kunde ein öffentliches Unternehmen, ist das Vergaberecht zu beachten.
Software, Datenbanken, Erfindungen und viele andere Leistungen werden durch das Urheberrecht oder gewerbliche Schutzrechte geschützt. Damit befasst sich das Recht des geistigen Eigentums (IP-Recht).
IT-Unternehmen begnügen sich heute nicht mehr mit der Rolle des Dienstleisters, sondern fordern die etablierten Player vieler Branchen heraus oder gestalten die Märkte der Zukunft gleich einfach ohne sie. Da heute weitaus größere Datenmengen verarbeitet werden können als früher, sind Daten zudem selbst ein wertvoller Rohstoff. Denn aus der Analyse von Daten können wiederum neue Erkenntnisse gewonnen werden – die Stichworte „Big Data“ und „künstliche Intelligenz“ begegnen uns überall.
Es sind bedeutende Fortschritte und Umwälzungen zu erwarten, zum Beispiel in der Medizin und – durch die Vernetzung von Maschinen – bei der Gestaltung von Produktions- und Wartungsprozessen.
Deutsche und europäische Behörden, Regierungen, Parlamentarier und Gerichte beschäftigen sich im internationalen Vergleich besonders intensiv mit der Frage, wie die (geistigen) Eigentumsrechte anderer, der freie und faire Wettbewerb und die Freiheit und die Interessen der Nutzer im digitalen Zeitalter zu schützen sind.
Zum einen werden Haftungsprivilegien, mit denen die Digitalwirtschaft lange gefördert und weitere Innovationen ermöglicht wurden, teilweise in Frage gestellt. So haften Anbieter von Infrastruktur und virtuellen Plattformen bislang nur bedingt für Rechtsverstöße derer, die diese Infrastruktur nutzen.
Die neue Urheberrechtsrichtlinie (EU) 2019/790 erlegt den Anbietern digitaler Dienste nun umfangreiche Sorgfaltspflichten auf, bis hin zur Installation der berühmt-berüchtigten Upload-Filter1.
Im Vertragsrecht steht die Umsetzung der Richtlinie über vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (EU) 2019/7702 an. Plattformen müssen zudem bereits ab Juli 2020 die „Platform to Business“-Verordnung (EU) 2019/11503 einhalten, die Fairness und Transparenz gegenüber Geschäftskunden gewährleisten soll.
Europäer haben auch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)4 ersonnen, die bei der Verarbeitung personenbezogener Daten Transparenz gegenüber den Betroffenen und risikobewusstes Handeln verlangt und die drakonische Strafen für Verstöße vorsieht.
Demgegenüber ist die E-Privacy-Verordnung5 vorerst gescheitert. Viele datenschutzrechtliche Einzelfragen, gerade mit Internetbezug, werden daher in den nächsten Jahren vor Gericht geklärt werden müssen.
Zuletzt war eine datenschutzrechtliche Fragestellung – die Reichweite des „Rechts auf Vergessenwerden“ – Anlass für das Bundesverfassungsgericht, eine Neudefinition seines Verhältnisses zum EuGH vorzunehmen. Zugleich erinnerte6 es daran, dass das Datenschutzrecht zwar selbst Grundrechte schützt, dass aber bei seiner Anwendung auch Grundrechte anderer zu beachten sind, insbesondere die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit und das Recht der allgemeinen Handlungsfreiheit.
Zahlreiche weitere Gesetzesvorhaben, u. a. in den Bereichen Wettbewerb7 und Datenethik8, sind zu erwarten.
Spricht etwas dagegen, sich für dieses Gebiet (oder einen Teilbereich davon) zu entscheiden? Vermutlich dieselben Gründe, die es so interessant machen. Es ist ein besonders herausforderndes Gebiet. Es besteht häufig eine schwer zu durchschauende Gemengelage aus deutschem und europäischem Recht.
Die unablässigen Gesetzesänderungen und Verlautbarungen von Aufsichtsbehörden bewirken, dass sich gewissermaßen ständig der Boden unter den Füßen des Rechtsanwenders bewegt und der Fortbildungsaufwand immens ist. Es führt auch dazu, dass es vergleichsweise wenig Literatur und aktuelle Muster gibt.
Aber wer Spaß daran hat, sich seine Wege durch das Dickicht selbst zu suchen, wird in seinem Berufsleben nicht an Langeweile leiden.
________________________
1 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32019L079...
2 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019L0770...
3 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex:32019R1150
4 https://dsgvo-gesetz.de/
5 https://www.parlament.gv.at/PAKT/EU/XXVII/EU/00/46/EU_04609/imfname_1094...
6 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/
2019/bvg19-084.html
7 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/kommission-wettbewer...
8 https://www.bmi.bund.de/DE/themen/it-und-digitalpolitik/datenethikkommis...
Über die Autorin:
Dr. Ulrike Elteste
Rechtsanwaltin bei Covington & Burling
LLP in Frankfurt am Main
Quelle JuS 2/2020