Was haben Spin-Offs mit Start-Ups zu tun? Start-Ups werden häufig als Erneuerer, Innovationstreiber und Entrepreneur betrachtet und für ziemlich angesagt befunden.
Wenn wir an Start-Ups denken, so denken wir an spannende und innovative Produkte, die von einer Gruppe zu Hause arbeitender oder in Co-Working-Spaces kollaborierender Geeks entwickelt werden. Start-Ups mischen den Markt auf, indem sie neue Produkte und Dienstleistungen schneller auf den Markt bringen als die etablierten Unternehmen mit ihren gebundenen Hierarchien und langen Forschungs- und Entwicklungszeiten. Start-Ups sind in dieser Hinsicht einfach agiler. Aber wie sieht es auf dem Rechtsmarkt aus?
Wir wissen, dass die Zahl der Legal-Tech Start-Ups in Deutschland wächst und mittlerweile rund 150 Unternehmen zählt, aber gibt es so etwas auch bei Anwaltskanzleien? Vor fast 10 Jahren sprach man vom „Spin-Off Boom“ – einem neuen Trend, dem viel Erfolg vorausgesagt wurde. Die Gründung neuer Spin-Off Kanzleien sorgte regelmäßig für Schlagzeilen in der Fachpresse, das waren die Start-Ups von vor 10 Jahren, ohne dass man sie so bezeichnet hätte. Heute stehen die Legal-Tech Start-Ups im Zentrum der ganzen Aufmerksamkeit, sie haben die Spin-Offs von den Titelseiten verdrängt.
Doch schauen wir uns die Zahlen der Spin-Offs in Deutschland einmal genauer an: Mittlerweile zählen wir in 2018 mehr als 100 Spin-Off Kanzleien, während es in 2008 gerade mal 20 waren – allein in 2017 gab es 15 neue Spin-Offs. Es ist also auch jetzt noch viel Dynamik im Rechtsmarkt. Aber was sind eigentlich Spin-Offs und was genau bieten sie an?
Entrepreneur oder Mini-Big Law?
„Spin-Off“ beschreibt das Phänomen, wenn sich Top-Partner und Associates aus großen Wirtschaftskanzleien von ihrer Kanzlei „abspalten“, um ihre eigenen Anwaltskanzleien zu gründen. Oftmals unzufrieden mit der Struktur von Großkanzleien, die anderen Großunternehmen gleichen, wollen sie ihre Unabhängigkeit zurück und sich auf dem Rechtsmarkt einen eigenen Namen machen.
„Im Alleingang handelnd“, ermöglicht es vielen Anwälten, sich stärker auf die Mandantenbeziehung zu fokussieren, in der Mandanten das zurückgegeben wird, was sie bei Großkanzleien oft vermissen:
Die persönliche Betreuung durch einen erfahrenen Partner anstatt durch eine Gruppe junger Associates, die gerade learning on the job betreiben – Mandanten nennen das mit säuerlichem Lächeln „Jugend forscht“. Dies ist dann auch schon eine der Schlüsselinnovationen von Spin-Offs.
Mandanten wollen Anwälte, die sie verstehen und denen sie vertrauen können. Und genau dies können Spin-Offs bieten: einen persönlichen Service. Spin-Offs fokussieren sich auf eine Dienstleistungsstrategie, die einen hohen Anteil an kundenorientierten und maßgeschneiderten Lösungen bereithält (ausführlich dazu die Dissertation von Andreas Günther, 2012: „The entrepreneurial strategies of professional service firms“).
Gerade in den ersten Jahren eines Spin-Offs ist dies der Fall, da die gesamte Beratung durch die Gründungspartner selbst erfolgt. Dies führt dazu, dass die Nischenkompetenz der Partner zum Eckpfeiler des Spin-Offs wird. Diese Fokussierung ist kein Nachteil, eher im Gegenteil: Mit wachsender Reputation des Spin-Offs zieht es weitere Partner mit entsprechender Expertise an und somit erweitert sich das Angebot für die Mandanten.
Aber was genau machen Spin-Offs? Ist es nur ein angesagter Name für eine Boutique oder eine spezialisierte Kanzlei? Beinahe die Hälfte aller deutschen Spin-Offs deckt das Brot- und Buttergeschäft der Rechtsdienstleistung ab: Corporate Law mit den Bereichen Mergers & Acquisitions und Gesellschaftsrecht. Corporate Spin-Offs unterscheiden sich oft in den Tätigkeitsbereichen (z. B. Steuerecht, Immobilienrecht und Arbeitsrecht), die sie ihren Mandanten anbieten, daneben fokussieren sie sich oftmals zusätzlich auf angrenzende Rechtsgebiete. Andere Spin-Offs entscheiden sich dafür, sich auf ein bestimmtes Rechtsgebiet zu spezialisieren, wie zum Bespiel das Kartellrecht oder den gewerblichen Rechtsschutz.
Solange Mandanten in Zukunft weiterhin dazu neigen, ihre Arbeit zu „un-bundlen“, also in kleine Häppchen zu teilen, und Aufträge an die „beste Anwaltskanzlei für das spezielle Mandat“ vergeben, haben Spin-Offs gegenüber ihren Kollegen aus Großkanzleien wenige Nachteile; man könnte sogar eher sagen, dass Spin-Offs den Großen einen Teil des Rechtsmarktes weggenommen haben. So machen in Hamburg Spin-Offs bereits 10% aller „Top Law Firms in Hamburg“ aus (lt. JUVE 2017/2018).
Im Alleingang handeln
Warum verlassen Partner und Associates die Komfortzone von Großkanzleien und riskieren alles? Wenn man bedenkt, dass eine gute Mandantenbeziehung oft mit einer Betreuung und Verfügbarkeit rund um die Uhr verbunden ist – egal ob nun bei einer Großkanzlei oder einem Spin-Off –, so steht schon die Frage nach dem Warum? im Raum. Partner, die ihre eigenen Spin-Off Kanzleien gegründet haben, sprechen von dem Wunsch nach größerer Unabhängigkeit.
So kann man sich zum Beispiel die Menschen, mit denen man arbeitet, selbst auswählen und insgesamt flexibler und als eigenverantwortlicher Unternehmer tätig sein.
Mit rund 35 % aller Spin-Offs gilt Hamburg als „Spin-Off Zentrum“ Deutschlands. Das Bucerius Center on the Legal Profession beschäftigt sich seit 2016 intensiv mit Spin-Off Kanzleien und hat aus diesem Grund eigens ein Spin-Off Forum als Austauschplattform gegründet. Innerhalb des Forums treffen sich sowohl etablierte Spin-Offs als auch Newcomer zweimal im Jahr, um Trends im Rechtsmarkt, wie Legal-Tech, Generation Y und den Anwalt der Zukunft zu diskutieren.
Die Spin-Off Treffen sind oftmals sehr spannend und lebendig: Eine Gelegenheit, alte Kollegen in die modernen, neuen und höchst individuellen Büros einzuladen, in denen Bilder hängen, die nicht nur von einem Corporate Art Service angemietet wurden, sondern von Freunden oder Bekannten selbst gemalt sind; ein Arbeitsplatz, an dem Anwälte „sie selbst“ sein dürfen. Ein Ort, an dem die Mitarbeiter stolz auf das Design und die Atmosphäre ihrer Arbeitsumgebung sind.
Aber natürlich ist es nicht nur die Atmosphäre oder das Gefühl, wodurch sich Spin-Offs von anderen kleinen Kanzleien unterscheiden. Wir werden oft gefragt: „Was ist der Unterschied zwischen einem Spin-Off und einer Boutique?“ Tatsächlich haben solche Einheiten viel gemeinsam. Spin-Offs zeichnen sich aber dadurch aus, dass ihre Gründungsmitglieder fast alle Großkanzleien entstammen. Dies bedeutet, dass die Partner eine umfassende Erfahrung in einem bestimmten Rechtsgebiet, Management Expertise, einen strategischen Fokus und eine bestehende Basis an hochkarätigen Mandanten mitbringen. Oft verlässt ein ganzes Team von Partnern und Mitarbeitern die Großkanzlei, in welcher sie seit vielen Jahren zusammengearbeitet haben, um ein Spin-Off zu gründen.
Im Gegensatz dazu spricht man von Boutiquen, wenn Anwälte sich von Anfang an oder später auf ein bestimmtes Rechtsgebiet konzentrieren wollen, ohne vorher für eine Großkanzlei tätig gewesen zu sein. Häufig merkt man Boutiquen noch die Vergangenheit als Generalist an. Ihnen fehlt manchmal der klare strategische Fokus, den die Spin-Offs hingegen aufweisen. Hauptsächlich ist es aber eine Frage der Herkunft.
Neben der Mandatsarbeit sind Partner und Mitarbeiter in Spin-Offs für das tägliche Office- und Kanzleimanagement verantwortlich. Im Gegensatz zu den großen Kanzleien haben Spin-Offs nicht den Luxus einer Armee von internen Business-Services, Marketing-Verantwortlichen oder HR-Beratern.
Das heißt, jeder muss die Ärmel hochkrempeln und sich auch in nicht-juristischen Tätigkeiten engagieren. Für Anwälte in Spin-Offs ist Management ein voll integrierter Teil ihres Jobs – und sie genießen es. Es bietet ihnen die Möglichkeit, verborgene Talente zu zeigen und ein echtes Mitspracherecht zu haben. Sei es beim Rekrutieren neuer Teammitglieder, dem Entwerfen einer neuen Anzeige oder beim Design der Büroräumlichkeiten. In einer 200-Partner-Sozietät wären die Möglichkeiten, sich in diesem Maße einzubringen, viel geringer.
Ausgezeichnete Arbeitgeber?
Spin-Offs bieten jungen Anwälten, die bereits wissen, auf welches Rechtsgebiet sie sich fokussieren möchten, eine spannende Alternative zu Großkanzleien. Big Law und Spin-Offs versuchen den gleichen Pool von Top-Talenten zu gewinnen, aber Spin-Offs sind im War for Talents durchaus gleichstarke Konkurrenten.
Kleinere Teams erfordern eine engere Zusammenarbeit, sowohl mit Kunden als auch mit Partnern. Spin-Offs können es sich nicht leisten, ihre jungen Anwälte ohne Beschäftigung zu lassen; sie müssen ihnen mehr Verantwortung und anspruchsvollere Aufgaben übertragen und sie einfach mal ins „kalte Wasser“ springen lassen.
Die enge Zusammenarbeit mit einem Partner führt zu kürzeren Entscheidungswegen und bietet jungen Juristen eine hervorragende Lernkurve. Darüber hinaus kann die juristische Weiterbildung auf die Bedürfnisse des einzelnen Anwalts zugeschnitten werden, da hier auf eine „kanzlei-interne Einheitsweiterbildung“ verzichtet wird. Junge Anwälte müssen aber darauf vorbereitet sein, sich auch bei nicht-juristischen Tätigkeiten zu engagieren. Dies ist für viele eine Chance, die man als Associate in Großkanzleien nicht wirklich erhält: eine Website zu entwerfen, zu einem Experten für Legal-Tech oder Prozessmanagement zu werden oder eine Konferenz zu besuchen.
Obwohl die Arbeitsbelastung nicht wesentlich geringer als in Großkanzleien ist, berichten viele Spin-Off Anwälte von einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. In den Spin-Offs ist die Hierarchie deutlich flacher als in den großen Kanzleien und fördert eine „Ein Team“-Arbeitskultur. In der Tat ist es diese energiegeladene, kooperative und unternehmerische Atmosphäre, die Spin-Off Kanzleien ausmacht und auch viele Anwälte dazu inspiriert, sich zu beteiligen.
Wie können junge Anwälte mehr über Spin-Offs erfahren? Während es noch keine umfassende Liste aller Spin-Offs gibt, hat das Bucerius Center on the Legal Profession Daten zu dem Spin-Off Phänomen in ganz Deutschland gesammelt. Events wie JUR DAY, die jedes Jahr von Spin-Off Kanzleien veranstaltet werden, bieten jungen Juristen außerdem die Chance, mehr über Spin-Offs zu erfahren.
Spin-Off Kanzleien erscheinen im Gegensatz zu Legal-Tech Start-Ups vielleicht aktuell nicht auf den Covern der diversen Fachzeitschriften, das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie weniger angesagt sind. Es ist wie immer: die absoluten Geheimtipps sind wohl gehütet.