Bündnisse schmieden und sich vernetzen – Dana-Sophia Valentiner über Frauen und Karriere

Dana-Sophia Valentiner im Gespräch mit Ghazzal Novid

Im Interview spricht die Trägerin des Hamburger Lehrpreises des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg und Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Helmut-Schmidt-Universität Dipl.-Jur. Dana-Sophia Valentiner über den Mangel von Frauen in Führungspositionen in der Rechtsbranche.

Ausgehend von ihrer Forschung und Erfahrung berichtet sie über die spezielle (männlich geprägte) Fachkultur. Zudem erklärt sie die Folgen der sogenannten leaky pipeline in Wirtschaft, Justiz, Wissenschaft und Verwaltung.

GN: Frau Valentiner, Sie haben u. a. Rollenstereotype in juristischen Ausbildungsfällen wissenschaftlich untersucht. Was sind die Schlussfolgerungen aus Ihrer Forschung?

DV: Die Sachverhalte, mit denen Jurastudierende auf das erste Staatsexamen vorbereitet werden, bedienen tradierte Rollenbilder. Es handeln ganz überwiegend Männer. Die wenigen Frauen werden auf ihre Rolle als Ehefrau oder Partnerin reduziert. Bei den Berufen zeigt sich eine deutliche Schieflage. Männer sind Anwälte, Richter und Geschäftsführer, während Frauen als Verkäuferinnen und Sekretärinnen arbeiten. Solche Geschlechterbilder bleiben nicht ohne Einfluss auf die Lernenden.

Die sogenannte Stereotypenbedrohung kann sich sogar negativ auf Lernmotivation und Leistungen auswirken. Deshalb ist eine Schlussfolgerung aus der Studie, dass wir mehr über die Funktionen und Wirkweisen von Ausbildungsfällen nachdenken und kreative Lösungen finden müssen, um Lernmaterialien interessant, motivierend und lehrreich zu gestalten – und dies in einer diskriminierungsfreien Weise.

GN: Was raten Sie jungen Frauen, die sich im Bewerbungsverfahren, etwa im Gespräch, entsprechend diskriminierenden Aussagen ausgesetzt sehen? Gegenhalten oder freundliches Lächeln?

DV: Ich finde die Frage schwierig zu beantworten, weil es doch sehr von der jeweiligen Situation abhängt und von den Interessen, die verfolgt werden. Zu bedenken sind auch bestehende Machtverhältnisse und Abhängigkeiten.

Raten würde ich jungen Frauen daher, das zu tun, was ihnen hilft, um mit der Situation fertig zu werden. Generell sollten wir uns aber lieber fragen, wie ein Bewusstsein entstehen kann, um derartige Situationen gar nicht erst zu schaffen.

GN: In vielen Kanzleien sind Partner weit überwiegend Männer. Gleichzeitig studieren heute so viele Frauen wie noch nie Jura und gehören zu den Besten. Geklagt wird zum einen über Mangel an geeigneten Absolventen und zum anderen über gläserne Decken. Hakt es da wirklich nur am Bewusstsein?

DV: Frauen sind nicht nur als Partnerinnen in Großkanzleien unterrepräsentiert, das Phänomen der sogenannten „leaky pipeline“ zeigt sich auch in der Justiz, der Wissenschaft und der Verwaltung.

Der Frauenanteil bei den rechtswissenschaftlichen Professuren beträgt 16 Prozent. Auch wenn bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften mittlerweile ähnlich viele Männer und Frauen arbeiten, nimmt auch dort der Frauenanteil in den höheren Besoldungsstufen ab.

Die Ursachen für diese Effekte sind vielfältig. Das Fach ist von einer speziellen Kultur und einem System benachteiligender Strukturen geprägt. Diese gilt es aufzubrechen. Das Bewusstsein für Stereotypisierungen, Benachteiligungen, Hierarchien und Diskriminierungen ist dafür essentiell. Darüber hinaus sind Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen sowie zur Vereinbarkeit von Familie und Karriere erforderlich.

GN: Woher kommt diese spezielle Fachkultur und was hat sie mit dem Geschlecht zu tun?

DV: Recht ist als Macht- und Herrschaftsinstrument von enormer gesellschaftlicher Bedeutung. Mit dieser Macht ist ein bestimmter Habitus verbunden.

Dieser stabilisiert sich über einen ausgeprägten Objektivitätsmythos, der eine Rechtsanwendung frei von subjektiven Einflüssen, Vorannahmen und Erfahrungen verspricht. Recht kennt in dieser Logik kein Geschlecht.

Jura zu studieren bedeutet aber auch heute noch, zumeist auf männliche weiße Lehrpersonen zu treffen. Sogenannte Arbeiterkinder sind unter den Studierenden unterrepräsentiert. Der Objektivitätsanspruch verklärt den Blick für Ungleichheitsdimensionen (z. B. Geschlecht) und stabilisiert zugleich Ungleichheiten.

GN: Das bedeutet, die Fachkultur wird von diesem Objektivitätsmythos bestimmt und bekommt gesellschaftliche Veränderungen nicht so schnell mit? Was raten Sie dann Studentinnen und Referendarinnen, die trotz dieser Lage eine anspruchsvolle Karriere anstreben?

DV: Sich nicht beirren lassen. Bündnisse schmieden und sich vernetzen, mit Kommiliton*innen, Kolleg*innen und Vorgesetzten. Verbände wie der Deutsche Juristinnenbund bietet vielfältige Vernetzungsmöglichkeiten.

Ich habe von Mentoring-Programmen profitiert, während des Studiums und der Promotionsphase. Einige Kanzleien bieten Women’s Lunches oder andere Formate an. Es gibt mittlerweile viele tolle Angebote.

GN: Haben Sie vielen Dank für Ihre Antworten!

Über die Interviewpartner:

Ghazzal Novid
Autor von Artikeln zum Thema Karriere und Politik
im juristischen Bereich. Zudem arbeitet er neben
seinem Jurastudium an der Universität Kiel am
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht
und in einer mittelständischen Kanzlei.

Dana-Sophia Valentiner
studierte Jura mit Nebenfach Genderkompetenz.
Derzeit lehrt und forscht sie an der Helmut-Schmidt-
Universität Hamburg, an der sie auch ein Promotionsstudium
betreibt. Sie engagiert sich für eine bessere Fachdidaktik,
Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit.

Quelle BECK Stellenmarkt 17/2019

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