Soziale Juristen

von Ghazzal Novid, Vorstandsmitglied eines Luftsportvereins, betätigt sich in einem Sportverband, in der Kieler Tafel und in einigen bürgerlichen Initiativen

Die Anwendung der Jurisprudenz erfordert, zu dieser Erkenntnis gelangen die Juristin und der Jurist bereits früh in der Ausbildung, intensive und regelmäßige Übung. Hört man erfahrenen und erfolgreichen Juristen zu, weiß man, dass diese Übung zum größten Teil nicht in der Ausbildung erzielt werden kann.

Entscheidend menschlich

Auch laut Wikipedia bedeutet Üben „ein methodisch wiederholtes Handeln, das darauf zielt, Können zu bewahren, zu erwerben oder zu steigern.“
Das Können, das Juristen im beruflichen Alltag benötigen, ist dabei weniger die Subsumtion von Sachverhalten unter rechtlichen Regelungen. Vielmehr kommt es darauf an, ein Gespür zu entwickeln für den Fragesteller, der ein Mandant, die Vorgesetzte oder etwa der Kollege aus der anderen Abteilung sein kann. Dazu gehört, für die Ursache der Fragestellung, für das Identifizieren des Problems und der dazugehörigen Lösung einen Weg zu finden. Der Telos ist hier nicht nur wichtig in der rechtlichen Würdigung, sondern auch in der Kommunikation mit Menschen. Was treibt mein Gegenüber an, wie kann ich ihm mit meinen Fähigkeiten helfen, wie kann ich mich profilieren?

Juristen sind soziale Garanten

Die Übung des sozialen Umgangs geschieht durch die Arbeit mit Menschen.
Unerlässlich ist es von daher für gute Juristinnen und Juristen, gesellschaftliches Engagement auszuüben. Rechtlich bewanderte Menschen, die in Verantwortung die Gesellschaft mitgestalten, erfüllen in ihr eine Schlüsselfunktion. Denn sie achten bereits instinktiv auf den richtigen Umgang miteinander, der konform mit den Verhaltensregeln in ihrer peer group, ihrem sozialen Milieu sein soll. Die Entfaltung der Sozialisation in sozialem Handeln birgt nicht nur die besten Möglichkeiten der oben beschriebenen Übung. Der oberste Zweck ist es, anderen zu helfen.

Wo werde ich gebraucht?

Die Felder für gesellschaftliches Engagement sind vielfältig: Angestellte können durch Organisieren von social events die Atmosphäre in einem Team merklich verbessern. Selbstständige Rechtsanwälte können durch pro bono-Mandate ihre Rechtskenntnis erweitern und Marketing betreiben. Karitativ engagierte Menschen können direkt Abhilfe schaffen (etwa bei der ehrenamtlichen Schuldnerberatung).

Wichtig bei der Findung eines sozialen Steckenpferds sind persönliche Neigungen, Prägungen und Interessen. Was bewegt einen selbst? Ist es der offenbar wohnungslose Mensch, der in der Mülltonne nach weggeworfenem Leergut fischt, so scheint ein Engagement bei der Obdachlosenhilfe richtig. So kann etwa der junge Insolvenzverwalter in die Welt vieler seiner Insolvenzschuldner einblicken, um sie besser zu verstehen.

Flüchtlingshilfe, Tafel-Vereine

Seit etwa zehn Jahren gibt es zudem organisierte Refugee Law Clinics (RLC).
Das Gebiet dieser studentischen Rechtsberatungen unter Anleitung von Volljuristen (§ 6 RDG) liegt im Migrationsrecht und hat einen großen sozialrechtlichen Einschlag. Das Engagement bei RLCs stößt aufgrund der aktuellen weltpolitischen Lage und ihrer migrationsmäßigen Auswirkung auf schier unendlich viele Gestaltungsmöglichkeiten und Notwendigkeiten.
Wer sich auch die Entwicklungen der rund 30 RLCs anschaut, stellt schnell fest: Ihr Organisationsgrad ist sehr schnell gestiegen. Demnächst soll sich ein Dachverband, der die regionalen RLCs in administrativen und politischen Angelegenheiten unterstützt, etablieren. Ein ergiebiges Engagement also.

Wer nicht mit Scheuklappen durchs Leben wandert, weiß auch: Die soziale Ungleichheit ist sehr ausgeprägt. Davon zeugen die vor etwa 20 Jahren aus einer New Yorker Idee heraus gegründeten Tafeln. Sie sammeln im Markt überschüssige Lebensmittel ein und verteilen sie an Menschen, die sich sonst keine Lebensmittel leisten können. Für die gemeinnützigen Trägervereine ist dies ein unermesslicher Aufwand. Kühlkammern, Kühltransporter, Büroräume, Personalmanagement (die Tafelmitarbeiter arbeiten zu 99 % ehrenamtlich) und die Einhaltung von vor allem lebensmittelrechtlichen Regelungen stellen die Verantwortlichen vor große Aufgaben. Juristen können hier administrativ, etwa in den Vereinsvorständen, maßgebliche Abhilfe schaffen.

Was bringt es mir?

Hat man Teile seiner Lebenszeit mit gesellschaftlichem Engagement verbracht, gibt man einem potenziellen Arbeitgeber zu verstehen, dass man Dinge bewegen möchte. Gute Mitarbeiter packen an, wo es nötig wird und arbeiten nicht mit einem Tunnelblick ihre Aufgaben einfach ab. Durch ehrenamtliches Engagement beweist man, akzeptiert zu haben, dass die eigene Verantwortung nicht am persönlichen Tellerrand aufhört. Gepaart mit Fachkenntnis und Fleiß ist dies die beste Jobgarantie.
Soziale Juristen stehen aber nicht nur auf dem Arbeitsmarkt gut da. Sie erweitern ihren persönlichen Horizont, und ja, sie sind glücklicher!

Quelle BECK Stellenmarkt 19/2017