Wie die Rezession den Juristenmarkt verändern wird

von Chan-jo Jun

Wenn schon der öffentliche Dienst ganzseitige Stellenanzeigen schaltet, müssen JuristInnen wahrlich eine begehrte Zielgruppe sein. Seit Jahren sprechen wir vom Bewerbermarkt, wo sich juristische Arbeitgeber gefälligst an die modernen Bedürfnisse der Millennials richten mögen. Schon vor dem zweiten Examen präsentieren sich Studierende und ReferendarInnen selbstbewusst bei den Bewerbermessen und Vorstellungsrunden der Großkanzleien und fragen, was sie außer Gehalt noch zu bieten haben. In Zeiten der Work-Life-Balance und Sinnentfaltung spielte das Thema Krisenfestigkeit kaum eine Rolle. Grund genug, antizyklisch einen Blick darauf zu werfen, wie die Juristenbranche in der Vergangenheit mit Wirtschaftskrisen umging und was uns bei einer tatsächlichen Rezession erwarten kann.  

Was passierte vor 20 Jahren?  

Für die Erkenntnisse aus der Vergangenheit hilft uns das Kurzzeitgedächtnis nicht wesentlich. Die Coronakrise ging am Arbeitsmarkt dank Kurzarbeitergeld für JuristInnen genauso spurlos vorbei, wie die Lehmankrise von 2008. Reisen wir lieber 20 Jahre in die Vergangenheit als der Spiegel vom Anwaltsprekariat, Überflutung durch Jurastudenten und der Aussicht auf Discountangebote warnte. Ein durchschnittlich bestandenes Examen mit immerhin 5,5 Punkten reichte nicht für die selten ausgeschriebenen Anwaltsstellen, vom Staat ganz zu schweigen. Kandidaten hielten sich mit freier Mitarbeit oder fachfremden Gelegenheitsjobs über Wasser. Großkanzleien mussten nur ausnahmsweise mal vom 9-Punkte-Ziel bei der Einstellung abrücken und Versicherungen konnten Volljuristen für die Bearbeitung von Haftpflichtschäden beschäftigen. In dieser Zeit entstanden viele Kanzleigründungen.    

Kurzarbeit, Mandatsbeziehungen und Kostensenkung  

Heute ist die Arbeitslosenquote unter Juristen kaum messbar und man könnte darauf vertrauen, dass es auch so bleibt. Arbeitslosigkeit war nämlich auch vor 20 Jahren unter Juristen unterdurchschnittlich; die Umstände des damaligen Prekariats zeigte sich nicht deutlich in der Arbeitslosenstatistik und erfordern einen genaueren Blick auf Statistiken und Stimmungen. Der juristische Arbeitsmarkt reagiert differenzierter und langsamer auf Wirtschaftskrisen als die Werbebranche oder der Gastronomieumsatz. Massenentlassungen, Betriebsschließungen und Insolvenzen verschaffen Arbeits- und Insolvenzrechtlern einen scheinbar unanständigen Reibach. Man möchte es fast den Kollegen gönnen, die durch staatliche Maßnahmen in der letzten Krise selbst Kurzarbeit anmelden mussten. Man könnte meinen, dass Mandate aus Zahlungsausfällen unvermeidbare zusätzliche Arbeit bedeuten. Das tun sie, aber manchmal nicht für zusätzlichen Umsatz. Wir erinnern uns gut an Mandatsbeziehungen aus Solar- und IT-Branchen, die auf den letzten Seiten der Papierakte einen Vollstreckungsbescheid oder eine Insolvenzanmeldung der Gebührenforderung enthalten. Wer weniger Geld hat, bricht weniger unwirtschaftliche Prozesse vom Zaun, gründet seltener Joint Ventures und spart auch an eigentlich gebotener Beratung. Dieser Effekt trifft nicht nur die Wald-und-Wiesen-Kanzleien, sondern auch Wirtschaftskanzleien. Dabei entsteht ein gewisser zeitlicher Verzug. Zunächst verzichten Unternehmen auf die Neubesetzung von Stellen in den Rechtsabteilungen oder konsolidieren Geschäftseinheiten. Für externe Berater kann das zunächst für zusätzliche Aufträge sorgen, bis Kostensenkungsprogramme auch die Budgets für externe Beauftragungen umfasst.    

Das auf und ab von Honorarumsätzen  

Wo sind jetzt die sicheren Inseln, mag man sich fragen. Krisen beschleunigen häufig Trends, die ohnehin vorhanden waren. In der Anwaltschaft ist es etwa jener zur Spezialisierung. Bei der letzten statistischen Erhebung der Rechtsanwaltskammer über die Entwicklung der Anwaltschaft musste man 2020 lange nach Verlierern suchen. Diese findet man bei unspezialisierten, aber selbstständigen Anwälten, die ihren persönlichen Überschuss von 37 T€ durchschnittlich auf 33 T€ im Jahr 2018 reduziert haben, während Fachanwälte von 93 T€ auf 104 T€ von 2016 bis 2018 zugelegt haben. Die offenkundige Erkenntnis ist, dass sich der Generalist vom bereits niedrigen Niveau noch weiter verschlechtert hat. Bemerkenswert in diesem Zeitraum ist auch die gegensätzliche Entwicklung von Jungkanzleien, die ihren persönlichen Honorarumsatz von 83 T€ (2013) auf 135 T€ (2018) erhöht haben, während ältere Kanzleien sich von 150 T€ (2013) auf 145 T€ (2018) verschlechtert haben. Jüngere Spezialisten outperformen die eingesessenen Generalisten.    

Was macht der öffentliche Dienst?  

In Krisenzeiten gewinnt der Staat als Arbeitgeber an Attraktivität. Schon in Boomzeiten konnte dieser trotz muffigem Resopal-Image manche Großkanzlei mit Work-Life-Balance ausstechen, was letztlich dazu führte, dass die Ecknoten trotz Rückgang der Bewerberzahlen hoch blieben. Dieser Trend könnte sich verstärken. Die stärkste Auswirkung hat jedoch nicht die Berufsart, sondern die Branche und das dazugehörige Rechtsgebiet. So unterliegt die Gesundheitsbranche offenkundig weniger konjunkturellen Verwerfungen als die Finanzbranche. Wachstum erzielt sie jedoch genauso wenig wie die volkswirtschaftliche Leistung aus Verkehrsunfällen. Krisenbedingter Strukturwandel dürfte Gewinner bei der Digitalisierung hervorbringen. Vor 20 Jahren waren das noch die Versandhäuser, die auf das Onlinegeschäft umgestiegen sind und ihren Zusammenbruch dadurch signifikant herausgezögert haben. Geschäftsmodelle und Rechtsfragen der Zukunft werden sich um die Standardisierung von Abläufen und künstliche Intelligenz drehen.    

Wie kann weiter vorgegangen werden?  

Optimisten dürfen alle Warnungen getrost in den Wind schlagen und auf die Fortsetzung der Bewerberparty setzen. Im günstigsten Szenario werden ein paar Rezessionsquartale von einem Kompensationsboom abgelöst noch bevor der träge Juristenarbeitsmarkt reagiert. Wer vorsichtig ist, nimmt Zukunftsperspektiven wenigstens in die Abwägungen auf und nutzt die Zeit, um eigene Kompetenzen zu erwerben. Ein mehrjähriges Abtauchen zu Forschungszwecken kann Krisenzeiten überbrücken oder aber auch dazu führen, dass man die letzten guten Jobgelegenheiten verpasst. Wer mit Dr. oder LLM als Berufsanfänger auf den Arbeitsmarkt trifft, setzt sich gegenüber diejenigen Mitbewerber durch, die in den Vorjahren im Callcenter saßen, hat aber vermutlich das Nachsehen gegenüber den unpromovierten Kollegen mit zwei Jahren Berufserfahrung als spezialisierter Jurist.  

Über den Autor:    

Chan-jo Jun
ist Gründer und Betreiber eine Rechtsanwaltskanzlei für IT-Recht mit 16 Anwälten in Würzburg. Mit seinem Team arbeitet Jun am Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Lösung rechtlicher Aufgaben in Rechtsabteilungen. Zu seinen Mandanten gehören sowohl mittelständische Softwareunternehmen als auch Automobilhersteller.