
Im Juni 2019 habe ich für zwei Wochen ein Praktikum in der Rechtsmedizin in Berlin gemacht. Im Nachhinein erinnere ich mich gerne daran als eine der besten Erfahrungen meines Lebens und freue mich, diese hier teilen zu können. Ich habe mich schon sehr früh für polizeiliche Arbeit und besonders für die Ermittlungen in Kapitalverbrechen interessiert, jegliche True Crime Podcasts gehört und bin dadurch auch auf die Arbeit von Prof. Dr. Michael Tsokos, einem der renommiertesten Rechtsmediziner Deutschlands, gestoßen. Zu diesem Zeitpunkt war es mein Wunsch, Rechtsmedizinerin zu werden, ich wollte allerdings erst einmal Einblicke in das Berufsfeld bekommen, da für diesen Beruf ein Medizinstudium erforderlich ist und das gut überlegt sein sollte.
Aber wofür ist die Rechtsmedizin eigentlich genau zuständig? Oftmals wird der Begriff der Rechtsmedizin mit dem der Pathologie gleichgesetzt. Allerdings differenzieren sich diese beiden Bereiche. Die Pathologie beschreibt die Lehre abnormer und krankhafter Veränderungen des menschlichen Körpers. Pathologen und Pathologinnen untersuchen vor allem Krankheiten zu Forschungszwecken. Sie führen auch Obduktionen durch, allerdings nicht zur Klärung von Straftaten, außerdem brauchen sie zur Leichenöffnung die Zustimmung von Angehörigen des Toten.
Die Rechtsmedizin beschäftigt sich mit unnatürlichen Todesursachen. Ihre Aufgabe ist es, die Todesart des Opfers zu ermitteln. Dies muss nach streng festgelegten Abläufen und unter Anordnung von Richter oder Staatsanwaltschaft stattfinden. Rechtsmediziner und Rechtsmedizinerinnen brauchen keine Genehmigung der Angehörigen. Im Falle einer natürlichen Todesursache wird nicht weiter ermittelt. Die Rechtsmedizin beschäftigt sich zudem auch mit Lebenden, wie zum Beispiel zur Dokumentation von häuslicher Gewalt oder Kindesmissbrauch. Da dies allerdings datenschutzrechtlich strenger gehandhabt werden muss, habe ich hierzu keinen Einblick bekommen.
Einblicke in einen außergewöhnlichen Arbeitsalltag
Ich hatte das große Glück, Kontakte in dem Bereich zu haben, sodass mir ein Praktikum ermöglicht wurde, was sonst in Deutschland im Bereich der Rechtsmedizin äußerst schwierig ist. Anfragen diesbezüglich werden meist nicht bearbeitet. An meinem ersten Tag sollte ich um 7 Uhr an der Pforte zur Rechtsmedizin erscheinen. Meine Aufregung war groß; ich war zum ersten Mal für längere Zeit allein in Berlin und wusste nicht, was mich nun erwartete. Noch nie zuvor in meinem Leben hatte ich eine Leiche gesehen oder war dem Tod so nah gewesen. Ich war mir einerseits sicher, dass ich mental stark genug bin, andererseits hatte ich Bedenken, dass ich das ganze eventuell unterschätzen könnte.
Ich wurde den Ärzten und Ärztinnen und der Assistenz vorgestellt, alle waren sehr freundlich, jedoch auch verwundert, dass ich als Praktikantin vor Ort war, da dies, wie gesagt, sehr selten vorkam. Danach begann die tägliche Vorbesprechung, in der zusammengetragen wurde, welche Obduktionen an dem Tag anstanden, was während der Bereitschaft passiert war und wie der Tagesplan aussah. Ich hörte, dass es ein Opfer eines Verkehrsunfalls gab, Opfer noch ungeklärter Todesursachen und Suizide.
Nun wurde mir spezielle Kleidung zur Verfügung gestellt, die ich anziehen sollte. Als ich durch die Kabine in den Sektor der Sektionsräume ging, schlug mein Herz schneller. Ich betrat den Saal, in dem insgesamt vier Sektionstische standen, auf drei Tischen lagen Leichen. Ich ging näher, betrachtete die Leiche auf dem Tisch, der am Eingang stand und merkte schnell, dass der Anblick für mich kein Problem war. Alles ging sehr schnell, die Assistenz öffnete den Oberkörper mit einem großen Messer, ich sah gespannt zu. Die Öffnung des Schädels folgte. Mit einer Art Kreissäge wurde die Schädeldecke geöffnet, um das Gehirn zu entnehmen. Das Geräusch war abschreckend, der Anblick natürlich nicht schön, allerdings überwogen mein Interesse und meine Neugierde. Die Organe wurden entnommen, nach und nach untersuchte der Rechtsmediziner sie, indem er sie in Scheiben schnitt und jede einzelne genau betrachtete. Er sprach in ein Diktiergerät, welches ihm beim späteren Berichtschreiben helfen sollte.
Die Obduktion ging schneller als erwartet. Ergebnis: natürliche Todesursache. Im Laufe der Wochen wurde ich mit sehr viel verschiedenen Fällen konfrontiert: von Herzversagen über Drogenmissbrauch und Verblutung bis hin zu suizidalem Erhängen – auch einen Kopfschuss untersuchten wir. Es interessierte mich sehr, ich gewöhnte mich sogar an den Geruch von stark verkommenen Leichen. Auch lernte ich, dass ich sehr schnell von einer Arbeit wie dieser abschalten konnte und mich nicht lange mit den Fällen beschäftigte, was sehr wichtig für diesen Beruf ist.
Verstärktes Interesse für den juristischen Hintergrund
Warum ich das Berufsziel Rechtsmedizinerin trotzdem nicht weiterverfolgt habe? Während des Praktikums merkte ich, dass ich doch mehr an der kriminologisch-kriminalistischen Arbeit interessiert war als an der rein medizinischen. Auch durch den Kontakt zu Staatsanwälten und Polizei während einiger Obduktionen wurde dieses Interesse gefördert. Mittlerweile studiere ich Jura im 7. Semester.
Ich würde jedem Jurastudierenden, der zum Beispiel bei der Staatsanwaltschaft arbeiten möchte, empfehlen, die Chance von Kursen wie Forensik oder ähnlich bezeichneten Kursen, die manchmal an Universitäten angeboten werden, wahrzunehmen. Meiner Recherche nach fördern manche Universitäten einen Besuch bei der Rechtsmedizin, da ein Praktikum – insbesondere nach Covid – so gut wie unmöglich ist. Ich hoffe, dass dieser Praktikumsbericht einigen Studierenden einen Einblick in die Rechtsmedizin ermöglicht hat und das Berufsfeld durchsichtiger erscheint.
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Über die Autorin:
Nelly Kramer - Jurastudentin an der Universität Göttingen
Schon als kleines Kind hat sie sich für Verbrechen, die Aufklärung dieser und Motive oder Hintergründe von Tätern interessiert und studiert nun mit dem Ziel, Kriminologin zu werden.