
Schnelllebigkeit, Komplexität und Dauererreichbarkeit prägen unsere heutige Arbeitswelt. Hinzu kommen hohe Erwartungen seitens der Partnerschaft, anspruchsvolle Mandate, harte Deadlines und die Herausforderung, Familie und Karriere in Einklang zu bringen. Die Belastungen, die auf Anwält:innen einprasseln, sind immens. Und trotz allem – es wird erwartet, dass man funktioniert. Über mentale Belastungen wird wenig gesprochen. Dabei ist gerade die Stigmatisierung so gefährlich. Wenn keiner darüber spricht, dann gibt es anscheinend keine Probleme. Also muss wohl die Ursache an einem selbst liegen.
Seit Studienbeginn wird der Fokus auf die Vermeidung von Fehlern gelegt – ein perfekter Nährboden für überzogene Selbstkritik und das Gefühl, nie gut genug zu sein. Hinzu kommen der eigene Perfektionismus und eine extrem hohe Erwartungshaltung an sich selbst.
Zusätzlich fördert die anwaltliche Tätigkeit einen pessimistischen Blickwinkel: Immer das Worst-Case-Szenario im Blick, um Risiken zu minimieren. Diese Denkweise, so wichtig sie für die Mandatsarbeit ist, wird zur Belastung, wenn sie ins Private überschwappt. Hinzu kommt das Bild des „harten Anwalts“, der keine Schwäche zeigen darf. Diese Haltung führt oft dazu, dass die Härte gegen sich selbst gerichtet, „Mensch sein“ nicht zugelassen wird.
Die besonderen Herausforderungen von Anwältinnen
Anwältinnen stehen oft vor zusätzlichen Hürden. Neben den hohen beruflichen Anforderungen lastet häufig ein ungleich höherer Druck, familiäre Verantwortung zu übernehmen und gleichzeitig in einer oft männlich geprägten Branche ihre Position zu behaupten. Viele kämpfen mit dem Gefühl, sich ständig beweisen zu müssen – nicht nur im Beruf, sondern auch in gesellschaftlichen Rollenbildern.
Hinzu kommt der unsichtbare „Mental Load“, der verstärkt bei Frauen auftritt: die ständige mentale Organisation von Haushalt, Familie und beruflichen Verpflichtungen. Dieses „unsichtbare Management“ führt zu zusätzlichem Stress, der oft unterschätzt wird. Anstatt den eigenen Balanceakt anzuerkennen, geraten viele Anwältinnen in Selbstzweifel und das Gefühl, nie genug zu sein, wächst
Vom Burn-On ins Burnout: Wie der Teufelskreislauf beginnt
In meiner Beratung sehe ich häufig Fälle, in denen diese Muster zur Falle werden. Viele Anwält:innen geben permanent Bestleistungen und gehen über ihre eigenen Grenzen. Oft folgt ein Mandat direkt auf das nächste, sodass nie ein Moment der Erholung eintritt. Im Gegenteil: Das Gefühl, im „Drive“ zu sein, gibt zunächst Energie – doch irgendwann lässt diese nach. Man merkt, dass man nicht mehr so funktioniert wie gewohnt und macht trotzdem weiter. Eine Pause scheint unmöglich, denn der Gedanke „das kann ich mir nicht leisten“ dominiert.
Das Tückische: Burnout ist ein schleichender Prozess. Wer frühzeitig die Warnsignale übersieht, riskiert, komplett auszubrennen. Am Ende steht oft die totale Entfremdung von den eigenen Bedürfnissen – man ist im Autopiloten gefangen.
Was Anwält:innen für sich tun können
Um gar nicht erst in einen Burnout zu geraten, ist es entscheidend, die eigene Resilienz zu stärken. Eine starke Beziehung zu sich selbst ist hier der Schlüsselfaktor. Doch wie kann das im hektischen Kanzleialltag gelingen?
Zunächst ist es wichtig, sich selbst bewusst wahrzunehmen. Hierbei kann ein „Self-Check-In“ helfen, bei dem man mehrmals täglich aktiv den Fokus von außen nach innen auf die eigenen Bedürfnisse und den Atem richtet. Das hilft, den Kopf zu beruhigen und den Stress zu regulieren. Unsere innere Haltung hat dabei einen wesentlichen Einfluss, wie wir Stress wahrnehmen. Fühle ich mich schnell überfordert oder sehe ich die Situation als positive Herausforderung an?
Auch hier hilft es, die eigene Haltung bewusst zu reflektieren und so automatisch „über Wasser“ zu kommen. Häufig sind gerade bei Anwält:innen Selbstsabotagemuster angelegt, die zwar kurz- und mittelfristig zu Höchstleistungen verhelfen, jedoch langfristig schädlich für einen sind und verhindern, gute Entscheidungen für eine optimale Balance zu treffen. Es ist wichtig, diese Denkmuster zu erkennen, zu überwinden und sich nicht von äußeren Erwartungen dominieren zu lassen.
Die Verantwortung der Kanzleien
Die individuelle Resilienz zu stärken, ist der eine Teil. Doch auch Kanzleien tragen Verantwortung. Ungeschriebene Regeln innerhalb von Kanzleien tragen dazu bei, dass Erschöpfung zur Norm wird. Wer früh geht, wird belächelt. Wer Mails spät in der Nacht beantwortet, gilt als engagiert. Pausen? „Dafür haben wir keine Zeit.“ Diese – zum Teil subtile – Kultur führt dazu, dass sich viele (unausgesprochen) gezwungen fühlen, über ihre Grenzen zu gehen – selbst, wenn niemand sie aktiv dazu auffordert. Gerade junge Anwält:innen geraten dadurch in einen Strudel aus Anpassung und Selbstoptimierung, weil sie sich beweisen wollen.
Doch Hochleistung ist nur nachhaltig, wenn Erholung ebenso angesehen wird wie der Einsatz. Eine menschliche Unternehmenskultur kann wesentlich dazu beitragen, dass Anwält:innen langfristig gesund und leistungsfähig bleiben. Denn mentale Gesundheit beginnt nicht erst beim Individuum, sondern bei der Kultur, die wir täglich (mit-)gestalten.
Vorbilder schaffen: Vorbilder, die zeigen, dass Karriere auch ohne Selbstaufopferung funktioniert. Hierfür ist es wichtig, dass Partner:innen reflektieren, welche stillen Erwartungen gesetzt und welche Botschaften mit dem eigenen Verhalten vermittelt werden.
Flexibilität fördern: Flexible Arbeitszeitmodelle erleichtern es Anwält:innen, Berufs- und Privatleben zu vereinbaren.
Offene Kommunikation: Es ist wichtig, eine Kultur zu schaffen, in der „Schwäche“ nicht als Makel wahrgenommen wird. Regelmäßige Gespräche zwischen Partnern und Mitarbeitenden können dazu beitragen, Herausforderungen frühzeitig zu erkennen.
Individuelle Unterstützung: Der Zugang zu Coaches oder Psychotherapeuten helfen, rechtzeitig Unterstützung zu vermitteln.
Workshops und Vorträge: Regelmäßige Veranstaltungen zur mentalen Gesundheit und Resilienz sensibilisieren und bieten umsetzbare Strategien.
Fazit
Mentale Gesundheit ist kein Luxus, sondern eine Grundvoraussetzung für langfristigen Erfolg – sowohl für Anwält:innen als auch für Kanzleien. Die juristische Branche fordert Exzellenz, Durchhaltevermögen und Leistungsbereitschaft. Doch wer dauerhaft an seine Grenzen geht, zahlt am Ende einen hohen Preis. Es ist an der Zeit, die Denkweise zu verändern: Ein hohes Arbeitspensum ist kein Qualitätsmerkmal, und Erschöpfung ist kein Beweis für Engagement. Sowohl Anwält:innen als auch Kanzleien sind gefragt, Verantwortung zu übernehmen. Wer auf sich achtet, für sich einsteht und ein unterstützendes Umfeld schafft, kann nicht nur (gemeinsam) langfristig erfolgreich sein, sondern auch erfüllt und gesund arbeiten. Und vielleicht ist es an der Zeit, wieder mehr Mensch zu sein, anstatt nur zu funktionieren.
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Über die Autorin
Felicitas Kapp - Coach
Sie war als Anwältin im Bereich M&A tätig und kennt die Herausforderungen des Anwaltsberufs. Heute arbeitet sie als Coach mit Fokus auf mentale Stärke und authentische Selbstführung und unterstützt High Performer wie Anwält:innen, Berater:innen und Unternehmer:innen, in Balance zu kommen und innere Blockaden zu überwinden.
www.felicitaskapp.com