In Deutschland ist fast alles durch den Gesetzgeber geregelt. Glaubt man.
Wir produzieren jedes Jahr eine Flut von Gesetzen und Verordnungen, setzen EU-Richtlinien in bundesdeutsches Recht um – und haben dennoch eine Regelungslücke. Oder kennen Sie ein Berufsgesetz für Sachverständige?
Nahezu jeder nimmt die Hilfe von Sachverständigen in Anspruch. Die Bundesregierung bedient sich sogar eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Geschaffen wurde er im Jahr 1963 durch das Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Jedem ist aus dem Referendariat der in den §§ 402 ff. der Zivilprozessordnung geregelte Sachverständigenbeweis geläufig. In der Werbung müssen Sachverständige, zumeist im weißen Kittel, zu klinisch getesteter Zahnpasta, gesunden Bio-Lebensmitteln und vielem anderen als Nachweis für besonders hohe Qualität und Produktgüte herhalten.
In das Bürgerliche Gesetzbuch hat er im letzten Jahrzehnt gleich zweifach Einzug gehalten. Mit der Einführung des § 839 a im Jahre 2002 wurde dort die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen erstmals gesetzlich geregelt. Ob dazu eine rechtspolitische Veranlassung gegeben war, wird unter Fachleuten bis heute kontrovers diskutiert.
Bereits mit dem „Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen“ kam mit Wirkung zum 1. Mai 2000 die sogenannte Fertigstellungbescheinigung in Gestalt des § 641 a in das BGB und irrlichterte dort mit so mäßigem Erfolg herum, dass der Gesetzgeber sie gut acht Jahre später mit dem Forderungssicherungsgesetz wieder entfernte.
Bemerkenswert an diesem § 641 a BGB war jedoch, dass er von einem „Gutachter“ sprach, der dem Unternehmer eine Bescheinigung darüber erteilen könne, dass das versprochene Werk frei von Mängeln sei.
Zur völligen Verwirrung trug dann allerdings Abs. 2 der genannten Vorschrift bei. Dort hieß es, dass ein Gutachter auch ein „Sachverständiger“ sein könne, auf den sich Unternehmer und Besteller verständigt haben, oder ein auf Antrag des Unternehmers durch eine Industrie- und Handelskammer, eine Handwerkskammer, eine Architektenkammer oder eine Ingenieurkammer bestimmter öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger.
Wo liegt der Unterschied zwischen einem Sachverständigen und einem Gutachter? Oder anders herum: Was qualifiziert den Sachverständigen zum Gutachter? Oder vielleicht doch besser den Gutachter zum Sachverständigen?
Das mit Wirkung zum 1. Juli 1995 in Kraft getretene Partnerschaftsgesellschaftsgesetz definiert in § 1 Abs. 2 die Freien Berufe und fügt im Satz 2 direkt eine Aufzählung hinzu. Darin wird unter anderem vom „hauptberuflichen Sachverständigen“ gesprochen. Dieser ist also partnerschaftsfähig im Sinne des Partnerschaftsgesellschaftsgesetzes.
Aus dem Umkehrschluss dieser Vorschrift können wir also die Erkenntnis mitnehmen, dass es neben hauptberuflichen auch Sachverständige im Nebenberuf geben muss. Denn irgendetwas muss sich der Gesetzgeber ja nun bei dieser Differenzierung gedacht haben.
Noch nicht – jedenfalls bisher – ist in Gesetzen der „Experte“ aufgetaucht.
Aber, was dem Gutachter, zumindest temporär, recht war, kann dem Experten ja noch billig werden. Denn, Experten sind wir schließlich alle. Egal ob für das Führen von Kraftfahrzeugen unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten, Fragen der Handhabung von im Internet herunterzuladender Programme für den eigenen PC oder für die Produktpalette der jeweils bevorzugten Baumarktkette.
Was unterscheidet also Sachverständige von Gutachtern oder Experten und was haben sie möglicherweise gemeinsam? Braucht der Gutachter Sachverstand, ist der Experte möglicherweise auch ein Sachverständiger oder müsste der Sachverständige vielleicht sogar sachverständig sein?
Wenn sich schon das Europäische Komitee für Normung – CEN seit mittlerweile fast vier Jahren mit der Schaffung einer Europanorm für die „Erbringung sachverständiger und gutachterlicher Dienstleistungen“ unter dem Arbeitstitel „Expertise Services“ herumschlägt, wäre da nicht dringender Handlungs- und sogar Regulierungsbedarf durch den bundesdeutschen Gesetzgeber gegeben?
Und dennoch, die Praxis zeigt es: Es geht auch ohne Berufsgesetz für Sachverständige, Gutachter oder Experten.
Das Wettbewerbsrecht ist dort, wo es angebracht ist, in nahezu allen Fällen in der Lage, Grenzen aufzuzeigen und diese erforderlichenfalls auch durch Richterspruch zu zementieren, wenn mit allzu großem Eifer Bezeichnungen wie „Vereidigter Sachverständiger“, „Unabhängiger Gutachter“ oder „Besonders Qualifizierter Experte“ Verwendung finden und dabei lediglich mit Selbstverständlichkeiten geworben wird. Denn, besonders hohe Sachkunde, wirtschaftliche Unabhängigkeit und persönliche Integrität müssen unabhängig von der jeweiligen Berufsbezeichnung als zwingend gegebene Bedingungen vorausgesetzt werden können.
Spätestens dann, wenn sich ein dazu nicht Befugter als „öffentlich bestellter Sachverständiger“ bezeichnet, greift das Strafgesetzbuch in Gestalt des § 132 a wegen des unbefugten Führens vonTiteln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen ein.
Dennoch muss die Frage gestattet sein, ob all diejenigen, die sich unter beruflichen Gesichtspunkten, sei es als Angehörige der Rechtsanwaltschaft, der Anklagebehörden oder im Richteramte, aber auch im legislativen Bereich, mit Sachverständigen befassen, dabei immer derTatsache bewusst sind, dass die Bezeichnungen als Sachverständige, Gutachter oder Experten entweder sehr viel oder so gut wie überhaupt nichts bedeuten können. Die inhaltliche Aussagekraft reicht in ihrer Spanne von außerordentlich hoher fachlicher Befähigung, völliger Unabhängigkeit bei der Auftragserfüllung und bester charakterlicher Eignung bis hin zum völligen Fehlen von Fachwissen, offenkundiger und zielgerichteter Gefälligkeit gegenüber dem Auftraggeber und einem gegen Null tendierenden Rechtsverständnis.
Weil die Begriffe Sachverständiger, Gutachter oder Experte für sich allein genommen nicht zwingend die genannten positiven und als gegeben vorauszusetzenden Kriterien offenbaren, muss immer kritisch hinterfragt werden, wer im Einzelfall für das Vorhandensein besonderer Sachkunde, unabhängiger Auftragserfüllung und persönlicher Integrität bürgt.
Nicht ohne Grund verweist § 404 Abs. 2 ZPO darauf, dass, wenn für gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich bestellt sind, nur dann andere Personen gewählt werden sollen, wenn besondere Umstände es erfordern. Hier wird durch die per Gesetz gemachte Vorgabe sichergestellt, dass diejenigen Institutionen, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts berechtigt und zugleich verpflichtet sind, Sachverständige öffentlich zu bestellen und vereidigen, diese Personen auch regelmäßig auf die Einhaltung der mit der Sachverständigenbestellung einhergehenden Pflichten überprüfen.
Seriöse Zertifizierungen von Sachverständigen, gerade dann, wenn die zertifizierenden Stellen über eine Akkreditierung, in Deutschland durch die Deutsche Akkreditierungsstelle – DakkS, verfügen, können zum gleichen Ziel führen. Dies kann auch im Einzelfall für Anerkennungen durch Sachverständigenverbände gelten. In beiden Fällen bedarf es jedoch zusätzlicher Hintergrundkenntnisse über diejenigen Stellen, die Sachverständigenzertifizierungen oder Verbandsanerkennungen aussprechen.
Das Vorhandensein von besonders hoher Sachkunde, Unabhängigkeit bei der Erbringung von sachverständigen Dienstleistungen und die charakterliche Eignung sind nicht zwingend und ohne Zweifel gegeben, wenn die Suche sich allein auf die Begriffe Sachverständiger, Gutachter oder Experte beschränkt. Es bedarf immer des Abklärens, wer dafür im Sinne des Wortes mit seinem guten Namen einsteht.
Dann spielt die Frage, ob derjenige sich als Sachverständiger, Gutachter oder Experte bezeichnet, eine untergeordnete Rolle.