E-Justice – Potenzial durchgängig digitaler Prozesse in der Justiz

von Diplom-Kaufmann Jürgen Breithaupt, Senior Sales Solution Consultant bei T-Systems International GmbH in München

Spätestens ab 2022 werden Rechtsanwälte und Behörden nur noch elektronisch mit Gerichten kommunizieren – so steht es im E-Justice-Gesetz1.
Noch verhindern papierbasierte Prozesse und eine komplexe IT-Landschaft, dass die Justiz schon heute von der Digitalisierung profitiert. Um Verfahren zu beschleunigen und Kosten zu senken, muss das Ziel sein, alle Vorgänge in der Rechtsprechung elektronisch zu unterstützen.

I. Heterogene Justiz-IT

Die deutsche Justiz-IT ist historisch gewachsen. Sichere Kommunikation, Fachverfahren, Aktenmanagement und IT-Infrastruktur – überall gibt es unterschiedliche Lösungen – Beschlusserstellung, Aktenverwaltung, je nach Standort sind die Systeme verschieden.
Für das E-Justice ist das eine harte Nuss: Wie können unterschiedliche bestehende und neue sicherere Kommunikationsarten (wie De-Mail) in den elektronischen Rechtsverkehr eingebunden werden? Wie lassen sich ausgehende und eingehende Daten bzw. Dokumente sicher verteilen, so dass sie die richtigen internen und externen Empfänger erreichen? Wie können die zahlreichen verschiedenen Fachverfahren transaktionssicher und kostengünstig an die Prozesse des elektronischen Rechtsverkehrs angebunden werden? In dieser großen Heterogenität liegen die Herausforderungen für ein erfolgreiches E-Justice.

Hinzu kommt: Bisher findet erst ein geringer Teil der Rechtsprechungs-Prozesse mit digitaler Unterstützung statt. Grundlage bildet nach wie vor die führende Papierakte. Die Justiz in Baden-Württemberg etwa verbrauchte im Jahr 2013 14.800 Kilogramm Papier. Das sind umgerechnet fast drei Millionen DIN-A4-Blätter.2

Weil die Justiz nicht gerade eine Digital-Domäne ist und, wenn überhaupt, meist Systeme zum Einsatz kommen, die miteinander nicht kompatibel sind, kommt es zu Medienbrüchen im Verfahrensablauf: Inhalte auf Papier müssen digitalisiert und elektronische Informationen ausgedruckt werden. Selbst zwischen den verschiedenen IT-Systemen erfordert der Datenaustausch mitunter manuelle Tätigkeiten. Dadurch verzögern und verteuern sich Verfahren und administrative Abläufe.

II. Hohe Anzahl an Gerichtsverfahren

Die Verfahrenszahlen bewegen sich auf einem gleichbleibend hohem Niveau. Pro Jahr hat die deutsche Justiz über drei Millionen erstinstanzliche Gerichtsverfahren zu bewältigen. Hinzu kommen knappe Haushalte, Personalmangel und eine zunehmend komplexere Rechtsprechung. Gleichzeitig gewinnt die europäische Zusammenarbeit an Bedeutung, zum Beispiel die Vernetzung von Registerverfahren oder staatenübergreifende Vollstreckung. Vor diesem Hintergrund kommen Gerichte, Staatsanwaltschaften, Strafvollzugsbehörden und die Justizverwaltung nicht daran vorbei, ihre Abläufe weiter zu digitalisieren.

Bund und Länder haben das Problem erkannt und in mehreren Gesetzen3 festgeschrieben, bis wann welche Prozesse in der deutschen Rechtsprechung digitalisiert sein müssen. So dürfen ab 2020 bzw. spätestens ab 2022 Anwälte, Behördenvertreter und Vertreter öffentlich-rechtlicher Körperschaften nur noch digital mit den Gerichten kommunizieren.4 Das soll Aufwand und Kosten senken – funktioniert aber nicht, solange die Justiz digital eingehende Daten erst ausdruckt und auf Papier weiterverarbeitet.

III. Ganzheitliche Lösung für E-Justice

Die Digitalisierung darf also nicht bei der elektronischen Kommunikation stehenbleiben, sondern muss alle Prozesse der Rechtsprechung miteinbeziehen. Erst wenn Kommunikation, Verfahren und Aktenmanagement digitalisiert und zu einer homogenen IT-Landschaft verknüpft sind, funktioniert die digitale Justiz wirklich effizient. Ein Muss ist dabei der Schutz vor Spam, Phishing, Manipulation und dem Zugriff Unbefugter auf allen Ebenen des Justizverfahrens. Dafür sind eindeutig identifizierbare Kommunikationspartner sowie verschlüsselte Übertragung und Speicherung nötig.

IV. Fazit

Die Arbeitsabläufe in der deutschen Justiz basieren heute auf Papier und einer Vielfalt verschiedener nicht integrierter IT-Systeme – eindeutig nicht zeitgemäß angesichts steigender Verfahrenszahlen und Personalmangel. Deswegen benötigt eine moderne und zukunftsfähige Justiz komplett digitalisierte Abläufe auf Basis einer homogenen IT. Gelingt die elektronische Integration nicht, wird die Justiz zur „Druckstraße“ ihrer Kommunikationspartner, und die angestrebten Effizienzgewinne können nur schwer realisiert werden. Die hierzu notwendigen Integrationsprojekte sollten auf der Basis von leistungsfähigen, sicheren und erprobten Integrationsplattformen aufsetzen. Auch die notwendigen Interoperabilitätsvoraussetzungen für eine europaweite, grenzüberschreitende elektronische Kommunikation zwischen e-Justice-Anwendungen der unterschiedlichen EU-Mitgliedsstaaten entsprechend e-CODEX können so geschaffen werden.

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1 Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten (10 .Oktober 2013)
2 Justizministerium Baden-Württemberg, Nachhaltigkeitsbericht 2014 – Vorab-Version, 2014 http://www.nachhaltigkeitsstrategie.de/fileadmin/Downloads/informieren/projekte/JuM_Nachhaltigkeitsbericht.pdf
E-Justice-Gesetz: Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013
De-Mail-Gesetz: Gesetz zur Regelung von De-Mail-Diensten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 28. April 2011, geändert am 07. August 2013
E-Government-Gesetz (EGovG): Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juli 2013
4 E-Justice-Gesetz

Quelle NJW 47/2015