"Es ist schon seltsam! Zu meiner Zeit ging der Anwalt dorthin, wo die Arbeit war und wo er Geld verdienen konnte." Dies sagte mir kürzlich ein Kunde, der seit mehr als 30 Jahren seine Kanzlei in einer Kleinstadt erfolgreich führt. Er genießt am Ort einen exzellenten Ruf, hat als Anwalt viel Geld verdient und sucht nun einen geeigneten Nachfolger. Die Suche gestaltet sich wesentlich schwieriger, als wir zunächst dachten. „Heute sitzen die Anwälte oft an ihrem Ort fest und warten darauf, dass die Arbeit zu Ihnen kommt – oder aber, sie konzentrieren sich auf die großen bekannten Kanzleien in den Großstädten“, stellt er enttäuscht fest.
Fach- und Führungskräfte sind in Deutschland rar gesät, da machen auch Juristen, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer keine Ausnahme.
Recruitung in Großkanzleien
Die großen, nationalen und internationalen Kanzleien und Gesellschaften mit ihren hohen Budgets, ihrem guten Ruf und ihrem exklusiven Flair haben es da leichter.
Meist an den interessanten und lukrativen Standorten gelegen, erhalten sie eine Vielzahl von Bewerbungen, zum großen Teil initiativ. Spezialisten rekrutieren sie schnell und effizient über Anzeigen, Personalvermittler und Headhunter. Auch können sie in ihren Personalabteilungen in der Regel auf ein gut ausgebautes Datennetzwerk zurückgreifen und es scheint, dass sie unter den Top-Leuten nach wie vor freie Auswahl haben.
Die Anforderungen an die Bewerber und Bewerberinnen in diesen Kanzleien sind allerdings sehr hoch. Mindestens vollbefriedigende Examina und ein Auslandsaufenthalt sind hier eher die Regel als die Ausnahme. Die Zahl der Kandidaten, die überhaupt für die Kanzleien in die engere Wahl kommen, ist mehr als überschaubar.
Zählt man zu den begehrten potentiellen Mitarbeitern, hat man die Qual der Wahl des zukünftigen Arbeitgebers. Verbunden ist dies mit der Hoffnung auf berufliche und finanzielle Entwicklungsmöglichkeiten, und auch der Name der Kanzlei im Lebenslauf bildet für viele einen großen Anreiz und kann unter Umständen bei der Karriere Türen öffnen.
Schwierige Bewerbersuche bei mittleren und kleinen Kanzleien
Mittelständische und besonders kleine Kanzleien haben es da deutlich schwerer. Hier steht in der Regel keine Personalabteilung für die Rekrutierung neuer Kollegen und Kolleginnen zur Verfügung. Ein Partner übernimmt die Auswahl und muss neben seiner juristischen Arbeit auch die Sichtung von Unterlagen übernehmen und Gesprächstermine vereinbaren. Reibungsverluste sind hier vorprogrammiert und die Auswahl guter Bewerber gestaltet sich entsprechend schwieriger.
Hinzu kommt, dass für viele Bewerber, unabhängig von den Examensergebnissen, diese Kanzleien als nicht attraktiv genug und eher als vorübergehende Notlösung angesehen werden.
Noch fataler sieht die Situation in den ländlichen Gebieten aus: Kleinere und mittlere Kanzleien haben es hier besonders schwer. Sie müssen nicht nur die Bewerber von sich selbst, sondern zusätzlich von der Umgebung, der Infrastruktur und den Möglichkeiten überzeugen.
Vorteile ländlicher Standorte
Dabei gibt es heute in der Regel gerade in Deutschland zahlreiche verkehrstechnisch sehr gut angebundene kleinere Standorte, so dass von dort aus Mandate problemlos im gesamten Bundesgebiet und auch international wahrgenommen werden können.
Gerade durch die gut ausgebauten Datennetze ist die Kommunikation viel einfacher und der Standort damit unerheblich geworden. Für Familien mit Kindern bieten ländliche Regionen die Nähe zur Natur. Kleinstädte und Dörfer haben oft gute, kleine Geschäfte und Geschäftstraßen mit deutlich günstigeren Angeboten als in der Stadt, wenn nicht ohnehin online bestellt wird. Und vor allem Wohnraum ist um einiges günstiger, wie die derzeitige Diskussion in den Medien zeigt.
Bleibt die Frage, wie es mit der anwaltlichen oder beratenenden Tätigkeit dort aussieht.
Viele Bewerber verkennen sehr oft die Möglichkeiten und Perspektiven, die eine Kleinkanzlei auf dem Land oder die kleine Spezialkanzlei in der Stadt bietet. Dort geht es in der Regel um anspruchsvolle anwaltliche Arbeit nah am Mandanten, direkt vom ersten Einsatz an. Für ortsansässige mittelständische und kleine Unternehmen ist der Anwalt Ansprechpartner der ersten Wahl, wenn ein rechtliches Problem auftaucht. Das bedeutet, dass der rechtliche Berater viel stärker in die täglichen Abläufe und Entscheidungen involviert ist. Und wie sieht es mit der Karriere aus? Läuft diese in der Stadt und in der Großkanzlei nicht auf jeden Fall schneller und effektiver? „Nein“ muss die Antwort lauten. Ein seinen Beruf liebender Anwalt kann überall Karriere machen.
Diese Karriere sieht in der kleinen oder Landkanzlei etwas anders aus, ist aber genauso möglich. Man kann sich zum Partner entwickeln oder sogar zum Kanzleiinhaber aufsteigen, und das in durchaus überschaubarer Zeit, mit der Option, seinen Herzensberuf zu leben. In einem kleinen Team am Ort kann das Vertrauen der Mandanten aus zahlreichen Kontakten viel intensiver und das Tätigkeitsfeld weitläufiger sein, was die Aufgabe noch reizvoller und spannender macht.
Natürlich muss nun nicht jeder sofort aufs Land oder in die kleine Kanzlei mit Spezialisierung einsteigen. Bei der Berufs- und auch der Arbeitswahl sollte man sich aber durchaus überlegen, ob für die eigene Persönlichkeit diese Kanzleien nicht etwa viel reizvoller sein können.
Die Herausforderung Landlust kann dem Berufsleben neuen Schwung und Perspektive geben. Kollegen und Kolleginnen, die sich auf das Abenteuer Kanzlei fernab von den Metropolen einließen, haben nach meinen Erfahrungen ihren Schritt bis heute nicht bereut.