KI in der Kanzlei – so einfach war Steuerberatung noch nie, oder doch nicht?

Auf einem Laptopbildschirm ist die Suchleiste einer Künstlichen Intelligenz zu sehen
von Nicolas Dongus

KI – zwei Buchstaben, die uns aktuell in allen Lebensbereichen begegnen und häufig mit großen Erwartungen verbunden sind.

Wird dank der neuen Technologie der Traum vom Abbau des Auftragsüberhangs in Kanzleien wie von Geisterhand verschwinden? Wahrscheinlich nicht; aber welche Möglichkeiten sich für Steuerberater bereits heute ergeben, schauen wir uns einmal genauer an.

Was ist Künstliche Intelligenz?

Künstliche Intelligenz (KI) bezeichnet Systeme, die Aufgaben erledigen können, die traditionell menschliche Intelligenz erfordern, wie Sprachverstehen oder Entscheidungsfindung. Bei diesen Systemen handelt es sich hauptsächlich um sogenannte künstliche neuronale Netzwerke – also um den Versuch, die Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachzuempfinden.

Ein Kerngebiet der KI ist das Machine Learning (ML), bei dem Algorithmen aus einer Fülle von Daten lernen und sich selbstständig verbessern, ohne explizit programmiert zu werden. Dies geschieht oft durch Trainingsdaten, anhand derer der Algorithmus Muster erkennt und Vorhersagen für neue Daten treffen kann.

Mensch und Maschine

Wichtig ist, den Unterschied der Funktionsweise zwischen Mensch und Maschine zu verstehen. Wenn Sie z.B. die Bilder von Zebras und Giraffen identifizieren wollen, dann müssen Sie einem neuronalen Netzwerk Zehntausende von Bildern mit allen unterschiedlichen Situationen (Blickwinkel, Helligkeit, Wetter etc.) geben. Die KI benötigt für das Lernen den Menschen. Am Anfang des Trainings trifft dieser aktiv die Entscheidungen und in der Folge überprüft bzw. korrigiert er die Entscheidungsvorschläge der Maschine bis diese zu einer hohen Trefferwahrscheinlichkeit kommt.

Im Vergleich dazu lernt der Mensch in einem Bruchteil. Wenn Sie einem kleinen Kind im Zoo ein Zebra zeigen, dann müssen Sie vielleicht noch ein- oder zweimal sagen, „das ist ein Zebra“ und dann hat das Kind für immer das Konzept eines Zebras verstanden und kann es immer und überall anwenden.

Wenn wir das Modell auf eine Kanzlei übertragen, dann können Sie sich ML wie einen Steuerberater vorstellen, der durch die Analyse tausender Steuerfälle lernt, optimale Steuerstrategien zu entwickeln. Die KI nutzt komplexe mathematische Modelle und eine enorme Datenmenge, um Vorhersagen zu treffen oder Probleme zu lösen. Für Steuerberater könnte KI bedeuten, effizienter mit der Datenflut umzugehen, genaue Prognosen zu treffen und Beratungsleistungen zu verbessern, ohne tief in die zugrundeliegenden technischen Details einzutauchen.

Aktuelle KI Anwendungsbereiche in der Kanzlei

Die Einführung von KI in die Steuerberatung hat die Entwicklung einer Vielzahl von Tools und Plattformen ermöglicht, die zur Automatisierung und Optimierung der Kanzleiprozesse geführt haben. Wir haben vier Bereiche identifiziert, in denen Kanzleien heute bereits aktiv KI einsetzen.

  1. Finanzbuchhaltung

    Ein Bereich, in dem KI in der Steuerberatung bereits eingesetzt wird, ist die automatische Datenerfassung und -verarbeitung. KI-Systeme können aus verschiedenen Dokumenten, wie Rechnungen und Quittungen, Daten extrahieren und automatisch in Buchhaltungssoftware übertragen. Dies reduziert manuelle Eingriffe und Fehlerquellen. Die Anwendungen DATEV Unternehmen Online und der DATEV Automatisierungsservice sind Beispiele für den Einsatz der Technologie in den produktiven Prozess der Kanzlei.

    Marco Hess, Steuerberater aus Buchen sagt: „Wir nutzen Tools wie z.B. den DATEV Buchungsassistenten, die zwar grundlegende Automatisierungen ermöglichen, aber eine komplette Buchhaltung damit abzuwickeln, ist aktuell nicht möglich, da komplexe Sachverhalte nicht abgebildet werden können.“
     

  2. Einsprüche

    Angesichts der Komplexität und ständigen Veränderungen im Steuerrecht kommt es auch bei Finanzämtern oft zu Unsicherheiten bei der korrekten Anwendung steuerlicher Vorschriften. Daher haben Einsprüche gegen Steuerbescheide, die auf starker Argumentation basieren, relativ häufig Erfolg. Mittels KI können große Datenmengen analysiert werden, um Unstimmigkeiten in Steuerbescheiden aufzudecken, die einen Einspruch rechtfertigen könnten.

    KI erleichtert nicht nur die Erkennung, sondern auch das Erstellen der notwendigen Einspruchsdokumente. Textgenerierungstools wie z.B. Chat GPT können vordefinierte Vorlagen und spezifische Fallinformationen nutzen, um präzise und rechtssichere Einspruchsschreiben zu generieren. Im Bereich der Rechtsberatung kam es schon vor ein paar Jahren zur Entwicklung von zahlreichen Anwendungen, die z.B. Endverbraucher bei der Durchsetzung ihrer Rechte bei Flugverspätungen unterstützen bzw. Kanzleien ein neues Geschäftsmodell ermöglichen. 
     

  3. Recherche und Vorbereitung

    Steuerberater müssen immer auf dem neuesten Stand der Gesetzgebung und jüngster Gerichtsentscheidungen sein. Bei nicht alltäglichen Fällen kann es schnell zu intensiven Recherchezeiten kommen. Mit KI kann dieser Aufwand reduziert werden. Manuelle Suchen nach Updates fallen weg und das Risiko, veraltete Informationen zu verwenden, wird minimiert.

    „Die Herausforderung bei der Nutzung von KI-Werkzeugen liegt derzeit darin, die Ergebnisse kritisch zu hinterfragen. Man muss sich der Fehleranfälligkeit und der oft nicht genannten Quelle bewusst sein“, sagt Thomas Vellante, Steuerberater aus Otterfing. „Ich nutze am liebsten den Copilot von Microsoft. Der bietet den Vorteil, dass die Ergebnisse mit Quellen versehen werden“, so Vellante weiter.
     

  4. Kommunikation mit Mandanten

    „Der Mandant stellt uns seine Frage zum ersten Mal, die Kanzlei beschäftigt sich mit dieser „Standard-Frage“, aber schon zum x-ten Mal“, sagt Marco Hess. Ein Prozess, der sich in allen Kanzleien immer und immer wiederholt. Mit KI lassen sich solche Prozesse vereinfachen. Per Chatbot können Fragen automatisiert beantwortet werden oder auch bei der Erstellung von steuerlichen Informationen kann die KI helfen, diese zu verfassen und für den Mandanten zu individualisieren. So kann nicht nur die Effizienz gesteigert, sondern auch die Beratungsqualität erhöht werden, indem es Steuerberatern ermöglicht wird, sich auf wertorientierte Dienstleistungen zu konzentrieren.

Obwohl mit KI große Versprechen für die Automatisierung verbunden sind, zeigt die Praxis, dass viele Entwicklungen noch in den Kinderschuhen stecken. Die Automatisierung wird besser, je mehr Standardisierung wir haben. Über die E-Rechnung kommen wir da hin; dann werden wir einen noch höheren Automatisierungsgrad erzielen. Ideal wäre ein KI-Tool, das auf unsere Kanzlei-Daten zugreift und vollständig datenschutzkonform ist, um tiefergehende Datenanalysen durchzuführen.“, sagt Marco Hess. 

Nutzen Sie die Chancen, die KI in der Steuerberatung bietet

Die Nutzung von KI in der Steuerberatung bietet Kanzleien und Mandanten eine Vielzahl von Vorteilen, darunter die Automatisierung von Prozessen, die Minimierung von Fehlern, Ansätze zur Optimierung der Steuerstrategie und die Steigerung der Effizienz. Kanzleien sollten jedoch auch die Herausforderungen und Grenzen von KI in der Steuerberatung berücksichtigen, einschließlich Datenschutz- und Sicherheitsbedenken, dem Fehlen menschlichen Urteilsvermögens und möglichen ethischen Fragen.

Sollten Sie als Steuerberater beabsichtigen, KI in die produktiven Leistungsbereiche der Kanzlei einzuführen, die über die „klassische“ Nutzung von Chat GPT hinausgeht und ggf. sogar beabsichtigen, ein eigenes GPT zu erstellen, so sollten Sie eine klare Strategie festlegen, über eine angemessene Dateninfrastruktur verfügen und ihre Mitarbeiter entsprechend schulen.

Zur Zukunft und dem Nutzen der KI meint Thomas Vellante: „In den letzten Jahren haben wir gelernt, mit offenen Augen und Ohren Neuerungen zu begegnen und auszuprobieren, wo der Nutzen für die Kanzlei liegen könnte. Momentan fällt es mir allerdings ein bisschen schwer, die Vorteile zu erkennen. Wahrscheinlich ist es wieder so wie mit dem Kontoauszugsmanager: Man dachte, unsere ganze Arbeit fällt weg, und eigentlich ist nichts passiert, außer dass das Arbeitspensum mehr wurde. Was sicher ist, die KI wird Arbeitserleichterungen bieten. Eine Gefahr für unseren Berufsstand sehe ich nur, wenn wir uns damit nicht beschäftigen.“

Die Zukunft der KI in der Steuerberatung ist vielversprechend und spannend zugleich. 

 

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Über den Autor

Nicolas Dongus - Diplom Kaufmann, Gründer und Partner DONGUS HOSPACH PARTNER
Seit mehr als 20 Jahren beraten und begleiten DONGUS HOSPACH PARTNER – die Kanzleiberater in allen Lebensphasen einer Kanzlei – von der Gründung bis zum Verkauf. Das Thema KI hat dabei in den letzten 3 Jahren massiv an Bedeutung gewonnen.