55,79 Prozent – so hoch war der Anteil weiblicher Absolventinnen im Fach Rechtswissenschaft im Jahr 2017 laut Statistischem Bundesamt. Aber auch 30 Jahre zuvor betrug der Anteil bereits 40 Prozent. Als „großen Fortschritt“ bezeichneten dies die damaligen Herausgeber juristischer Fachzeitschriften.
Allerdings werfen diese Zahlen auch eine berechtigte Frage auf: Wie kann es sein, dass die Hörsäle der juristischen Fakultäten zwar zur Hälfte mit hochqualifizierten Studentinnen gefüllt sind, an den Spitzen der Karriereleiter in Justiz, Verwaltung, Unternehmenswirtschaft und Anwaltschaft aber noch immer überwiegend männliche Vertreter der juristischen Zunft zu finden sind?
Manche argumentieren, dies liege an der biologisch bedingten Rolle als Mutter, welche die Frauen letztlich gegen Karriere und für Familie entscheiden lasse. Andere behaupten, frau wolle den harten und oft mühsamen Weg der Karriere aus Bequemlichkeit nicht gehen. Und wieder andere glauben, Männer seien schlicht die durchsetzungsstärkeren und belastbareren Führungskräfte, was angesichts der oben beschriebenen Lage bestätigt werde.
Nadja Harraschain, Gründerin der Initiative breaking.through, hat eine andere Antwort auf die Frage: Eines der Probleme, Juristinnen in Führungspositionen zu finden, sei die mangelnde Identifikations- und Orientierungsmöglichkeit von Studentinnen und Berufsanfängerinnen – es fehle an weiblichen Vorbildern.
Dies bestätigt auch Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit, Rechtsanwältin und Vorsitzende Richterin am OLG Hamburg a.D. in einem Interview mit breaking.through, die davon überzeugt ist, dass sich das Fehlen von Vorbildern auf die Vorstellung junger Frauen auswirke, was beruflich möglich ist und was nicht. Auch Prof. Dr. Ute Sacksowsky von der Universität Frankfurt reiht sich ein, wenn sie in ihrem Interview darauf aufmerksam macht, dass männliche Professoren (2017 betrug ihr Anteil an deutschen Hochschulen 82,4 Prozent) Promotions- und Habilitationsangebote überwiegend an Männer richten, da „im Lehrer-Schüler-Verhältnis eher jene gefördert werden, die dem eigenen jüngeren Selbst nahekommen“.
Vorbilder sind also bedeutsam, weil sie Verhaltensweisen und Ziele vorleben, an denen frau sich orientieren kann. Fehlen jene, signalisiert das dem Nachwuchs, dass ein vermeintliches Ziel womöglich nicht erreicht werden kann; erkennt man darüber hinaus, dass das eigene Ziel von einem männlichen Kommilitonen, Kollegen oder Vorgesetzten erreicht wird, erweckt das gar den Eindruck, dass die eigene Weiblichkeit bzw. das Abweichen von männlichen Verhaltensmustern ein Hindernis auf dem Weg nach oben darstellt. Die Folge ist ein Teufelskreis: Weniger Frauen versuchen, in Spitzenpositionen zu gelangen, und weniger neue Vorbilder entstehen, die andere Frauen motivieren können.
Diese Entwicklung möchte Harraschain umkehren mit einem Projekt, das von mittlerweile zwölf jungen Juristinnen gestaltet wird: breaking.through. Indem erfolgreichen Rechtswissenschaftlerinnen und Juristinnen auf der Internetseite der Initiative eine Plattform geboten wird, über sich, ihre berufliche Laufbahn und ihren individuellen Lebensweg in Form von Interviews zu berichten ,sollen mögliche Vorbilder für den Nachwuchs sichtbar gemacht werden. Die bewusst gewählte Vielfalt möglicher Werdegänge ist bunt, um weiblichen Juristinnen mehr Visibilität zu verschaffen und Rezipientinnen auf ihrem eigenen Weg zu inspirieren und zu ermutigen.
Ergänzend bietet das Projekt die Möglichkeit zu direktem Austausch zwischen etablierten Juristinnen und nachfolgenden Generationen bei einem der zahlreichen von breaking.through organisierten Events zu ausgesuchten karriererelevanten Themen wie etwa „Geld ist Macht“ oder der aktuellen deutschlandweiten Workshopserie zum Thema Selbstmarketing („she leaders series“). Zusätzlich bietet breaking.through eine Beratungsvermittlung an, die junge Juristinnen mit konkreten Fragestellungen zur Karriereplanung und -umsetzung mit erfahrenen Ratgeberinnen aus dem Porträtnetzwerk vernetzt.
Vorbilder schaffen Möglichkeiten – Vorbilder schaffen Zuversicht. In Zeiten der Krise, wenn man nicht weiterweiß, kann man sich an ihnen orientieren, neuen Mut schöpfen. Sie sind „das Zuckerstück für den wandernden Esel“, wie einst Elisabeth Selbert, Rechtsanwältin im Familienrecht und eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“, sagte. Vorbilder spiegeln die Werte einer Gesellschaft. Wir sollten uns also fragen: In welcher Gesellschaft möchten wir leben?
Es sollte sich nicht mehr wie eine Ausnahme anfühlen, wenn man von dieser oder jener erfolgreichen Juristin spricht oder eine Studentin schon im Studium weiß, dass sie einmal Partnerin einer Großkanzlei, Professorin oder Aufsichtsrätin werden möchte. Vielmehr sollte sie mit Zuversicht in die Zukunft blicken und davonüberzeugt sein: Ich kann es schaffen! Denn sie konnte es auch!
Über die Autorin:
Cand. iur. Alicia Pointner
ist Redaktionsmitglied bei breaking.through und hat kürzlich ihr erstes Staatsexamen absolviert.
Quelle JuS 8/2019