Der Schwerpunktbereich – frühe Spezialisierung bringt Vorteile am juristischen Arbeitsmarkt

von Ghazzal Novid, arbeitet an einem Lehrstuhl für Insolvenzrecht und Zivilprozessrecht sowie in der Insolvenzabteilung einer mittelständischen norddeutschen Wirtschaftskanzlei

Das klassische Jurastudium ist mit seinem Staatsexamen eher ein Ausnahmefall unter der heutigen Masse an Studiengängen, insbesondere seit Einzug des Bologna-Prozesses im deutschen Hochschulsystem. Ein solcher Studiengang, der verschult ist, ja eines stromlinienförmigen Prüfungssprints bedarf, kann nicht auf die Bedürfnisse der einzelnen Studierenden eingehen und kann auch nicht die Persönlichkeiten hervorbringen, die auf dem Arbeitsmarkt so sehr gefragt sind.

Nun wird das juristische Studium, je nach dem, wen man fragt, entweder als Fels in der Bologna-Brandung oder als konservatives Dickschiff gesehen. Aber auch hier tut sich etwas. Beide Lager haben sich einander angenähert, als das Schwerpunktbereichsstudium vor über zehn Jahren eingeführt wurde.

Eine echte Chance

Das bedeutet, der universitäre Teil der „Ersten juristischen Prüfung“ (so der formal korrekte Begriff für das Erste Staatsexamen) wird mit der Schwerpunktbereichsprüfung abgeschlossen, die in der Regel ein Drittel der Gesamtnote ausmacht. Die Justizprüfungsämter der Länder behalten jedoch mit Abnahme der sogenannten staatlichen Pflichtfachprüfung (meist sechs fünfstündige Klausuren) die Oberhand. Das altbewährte Erste Staatsexamen wird nicht abgewertet, vielmehr modifiziert. Das ist auch dringend notwendig. Denn industrieller Fortschritt, die Trägheit von zu alt gewordenen Rechtsordnungen und nicht zuletzt die europäische Integration bringen einen hohen Regelungsdruck mit sich. Nicht zuletzt bietet dies für die eigene juristische Karriere echte Chancen.

Jurastudierende machen sich deshalb zu Recht viele Gedanken über die Wahl des Schwerpunktbereichs. Auch die Wahl des Universitätsstandorts kann zum Teil von den angebotenen Schwerpunktbereichen abhängen.

Von Rechtstheorie über Bank- und Kapitalmarktrecht bis hin zu Verwaltungs- oder Zivilprozessrecht gibt es eine Vielzahl von Angeboten. Und nicht nur Studierende profitieren von der Wahlmöglichkeit je nach Gusto.
Auch die Lehre kann ihr jeweils bevorzugtes Forschungsgebiet als Schwerpunktbereich anbieten. Befindet man sich etwa in der glücklichen Lage, eine Koryphäe im Insolvenzrecht oder eine Vorreiterin im Bank- und Kapitalmarktrecht an seiner Uni zu haben, kann man von dieser Fachexpertise und den vorhandenen Netzwerken profitieren.

Praxisluft

Spezialisten aus der Praxis haben die Chance, ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiterzutragen, indem sie Lehrveranstaltungen anbieten. Dozierende aus der Praxis sind inzwischen die Regel, so dass auch mal ein anderer Blick auf die Rechtsmaterie eingenommen werden kann. Nicht zuletzt können sich Gelegenheiten für interessante Nebentätigkeiten ergeben oder man schnuppert bei der vorweihnachtlichen Vorlesung bei Kaffee und Keksen in den Kanzleiräumen des Dozenten in den Alltag einer Wirtschaftskanzlei. Die überschaubare Größe eines Jahrgangs in einem bestimmten Schwerpunktbereich birgt hierfür eine sehr inspirierende Atmosphäre, im Vergleich zu Schuldrecht AT mit über 300 Menschen in einem engen Hörsaal.

Hat man sich einmal in den Stoff eingefunden, ist man oft bereits schlauer als viele nicht oder anders spezialisierte Juristen in der Berufswelt. Dieses Potenzial sollten sowohl Arbeitgeber als auch die künftigen Arbeitnehmer nutzen. Studierende mit dem Schwerpunkt Steuerrecht können nebenher in Steuerkanzleien anheuern, Völker- und Europarechtler können sich schon mal ein vielversprechendes Praktikum bei einer NGO oder einer supranationalen Organisation sichern. Die Chancen hierfür sind je nach Universitätsstandort gut bis sehr gut. Arbeitgeber in hochspezialisierten Branchen oder in einem tief gehenden Rechtsumfeld können sich das sonst rare Fachpersonal selbst „heranzüchten“, statt es später teuer einzukaufen.

Eine frühe Spezialisierung bedeutet schließlich auch, keinen Tunnelblick zu haben, sondern die allgemeinen Rechtskenntnisse, die man nach Grund- und Hauptstudium ja bereits besitzt, effektiv in ein bestimmtes Rechtsgebiet oder einen Wirtschaftszweig einzubringen. Um das Modell des Schwerpunktbereichsstudiums weiter auf Erfolgskurs zu führen, müssen sich Arbeitgeber in ihrem eigenen Interesse stärker um die universitäre Ausbildung kümmern. Die Politik muss die Rahmenbedingungen in den Ausbildungsgesetzen, etwa die aktuelle Notengewichtung, beibehalten und nicht auf 20% reduzieren, wie es die Pläne der Justizministerkonferenz verlautbaren. Nur so wird das Schwerpunktbereichsstudium von den Studierenden und der Praxis weiterhin gut angenommen. Eine Annäherung dieser beiden Gruppen ist in einem modernen Jurastudium nämlich dringend erforderlich.

Weitere Informationen, Tipps und Literatur zu Studium und Referendariat finden Sie auf beck-shop.de. 

Übrigens: Testen Sie die NJW und die Ausbildungszeitschriften JuS und JA jetzt kostenlos im Probeabo.

Quelle BECK Stellenmarkt 15/2017