Dolmetscher und Übersetzer als Sachverständige im Gericht

von Dr. Thurid Chapman, staatlich geprüfte und öffentlich bestellte Dolmetscherin und Übersetzerin für die englische Sprache

Allgemein beeidigte, öffentlich bestellte oder ermächtigte Dolmetscher und Übersetzer kommen in Gerichts- und Ermittlungsverfahren mit nicht deutschsprachigen Beteiligten regelmäßig zum Einsatz. Ihre Leistung besteht beispielsweise im Dolmetschen in Ermittlungs- und Hauptverfahren und im Übersetzen verfahrensrelevanter Dokumente. Für diese Leistungen sind sie entsprechend dem JVEG zu vergüten, das Regelungen zu den Arten des Dolmetschens enthält wie auch die Zeilenhonorare für die Übersetzungsaufträge vorgibt.

Immer häufiger kommt es allerdings vor, dass – besonders im Zuge der Hauptverhandlung – Dolmetscher und/oder Übersetzer hinzugezogen werden, um als Sachverständige tätig zu werden. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn im Ermittlungsverfahren bereits erbrachte Dolmetsch- und/ oder Übersetzungsleistungen in Zweifel gezogen werden und erneut überprüft werden müssen oder wenn anhand der Sprache oder des Dialekts eines Betroffenen eine Aussage zu seiner Herkunft getroffen werden soll. In den Medien wird gerade in Anbetracht der aktuellen Flüchtlingssituation in der Bundesrepublik Deutschland vermehrt berichtet, dass gerade im letzteren Fall entsprechende Einschätzungen von Dolmetschern gegenüber Behörden geäußert werden.

Überprüfung bereits erbrachter Dolmetsch- bzw. Übersetzerleistungen in Strafverfahren

Da Verdolmetschungsleistungen mündlich entweder simultan oder konsekutiv erbracht werden, erfordert eine Überprüfung des Gesagten und der Verdolmetschung die Anwesenheit eines zweiten Dolmetschers, es sei denn, das Gespräch wurde aufgezeichnet und wird dem Zweitdolmetscher zur Verfügung gestellt. Solche Fälle treten auf, dürften aber in Bezug auf die thematisierte Tätigkeit des Dolmetschers und/ oder Übersetzers als Sachverständiger aufgrund der reinen Häufigkeit von geringer Relevanz sein, da der Zweitdolmetscher zur Überprüfung in der Regel eine zweite Verdolmetschung – die von der ersten abweichen kann, aber nicht zwangsläufig eine Verbesserung darstellen muss – abgibt. Damit unterscheidet sich seine Tätigkeit hier nicht von der originären Verdolmetschungstätigkeit wie sie durch den Erstdolmetscher stattfindet. Gleiches gilt für Zweitübersetzungen, die unabhängig von der Erstübersetzung angefordert und erbracht werden. Zwar erfolgt eine Übersetzung nicht mündlich, sondern schriftlich, richtet man aber den Blick auf die eigentliche Tätigkeit, unterscheidet sich diese außer im zeitlichen und/ oder örtlichen Versatz nicht. Als wichtig ist hier jedoch festzuhalten, dass die Zweitübersetzung unabhängig und separat ohne Kenntnis der Erstübersetzung vorzunehmen wäre. Es handelt sich somit nicht um eine Vergleichsübersetzung, da der Vergleich der Versionen selbst (d. h. der Vorgang des Vergleichens) nicht vom Übersetzer, sondern durch einen Dritten vorgenommen wird.

Anders verhält es sich bereits, wenn es sich nicht um eine zweite, unabhängige und separate Übersetzung handelt, sondern diese bereits als Vergleichsübersetzung angelegt ist und die Erstübersetzung kritisch mit reflektiert oder gar in einer Analyse untersucht. Hier kann davon ausgegangen werden, dass die Tätigkeit schon aufgrund ihres Charakters über die reine Übersetzungstätigkeit hinausgeht.

Noch deutlicher wird die Distinktion, wenn die Erstübersetzung auf bestimmte Elemente (wie z. B. Korrektheit, Vollständigkeit usw.) untersucht und/ oder inhaltlich, sprachlich und ggf. auch stilistisch analysiert wird. Hier kann es zur Verdeutlichung der festgestellten Befunde zur Zweitübersetzung kommen, die sich auch nur auszugsweise auf bestimmte – vielleicht problematische – Textstellen beziehen kann, um eventuell vorhandene Schwächen der Erstübersetzung sinnfällig zu machen. In jedem Fall weist die sachverständige Beurteilung und Überprüfung von – wie hier – Übersetzungsleistungen sowohl einen anderen Bezugsrahmen wie auch einen anderen Tätigkeitsrahmen bzw. andere Merkmale der Tätigkeit auf:

Abgrenzung zwischen Übersetzen und sachverständiger Überprüfung von Übersetzungen

Tätigkeitsrahmen / Übersetzung / sachverständige Überprüfung
Terminologische Analyse des Ausgangstexts / √ / √
Terminologische Analyse des Zieltexts / / √
Inhaltliche Analyse des Ausgangstexts / √ / √
Inhaltliche Analyse des Zieltexts / / √
Sprachliche Analyse des Ausgangstexts / √ / √
Sprachliche Analyse des Zieltexts / / √
ggf. stilistische Analyse des Ausgangstexts / √ / √
ggf. stilistische Analyse des Zieltexts / / √
Übersetzen des Ausgangstexts / √ / (√)
Vergleich / / √
Schlussfolgerung / / √

Bezugsrahmen
Ausgangstext / √ / √
Zieltext / / √

Schon diese eher reduziert gehaltene Aufstellung macht deutlich, dass die sachverständige Überprüfung einer Übersetzung etwas anderes ist als die Anfertigung der Übersetzung bzw. die übersetzerische Tätigkeit selbst. Die sachverständige Überprüfung muss sich schon aus Vergleichszwecken einer anderen Methodik bedienen, als sie beim Vorgang des Übersetzens zur Anwendung kommt. Daher lässt sich eine sachverständige Tätigkeit im obigen Sinne nicht unter die Tätigkeit des Übersetzens subsumieren. Gleiches gilt für die in der Praxis noch wenigen Fälle, in denen eine aufgezeichnete Verdolmetschung einer ähnlichen Analyse und Beurteilung unterzogen wird.

Diesem Umstand sollte auch in den relevanten Regelwerken Rechnung getragen werden. In der sachverständigen Prüfung von Übersetzungen tätige Dolmetscher und/ oder Übersetzer finden nicht nur im Katalog des JVEG keine Gruppe, der sie diese Tätigkeit zuordnen könnten – das JVEG kennt Dolmetscher und Übersetzer nur als eigene Entitäten und beschränkt sich auf die reinen Tätigkeiten des Dolmetschens und Übersetzens –, sondern auch über die ZPO hinaus keine anderen Regelwerke, auf die sie sich bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten beziehen können. In Bezug auf die Vergütung nach JVEG können beurteilend tätig werdende Dolmetscher und Übersetzer dem Anschein nach sich lediglich auf die im JVEG angegebenen Honorarsätze für das Dolmetschen und Übersetzen beziehen, obwohl ihre Tätigkeit inhaltlich und methodisch über diese Arbeiten hinausgeht.

Diese wahrnehmbare Regelungslücke sollte schon in Anbetracht der Kostenintensität der in der Praxis betroffenen Fälle (z. B. umfangreiche Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung und ihre Beweisverwertbarkeit im Strafprozess) geschlossen werden. Eine entsprechende Regelung sollte sich nicht nur im JVEG niederschlagen, sondern auch in den sogenannten Dolmetschergesetzen der Länder, die eine gute Möglichkeit böten, auch auf qualifizierende Kriterien für diese Tätigkeit abzustellen.

Quelle NJW 17/2016