Lawyer Tech

von Uwe Horwath

Niemand durchläuft gerne die juristische Ausbildung, um sich später im Berufsleben auf Dauer mit dem Griff in die Formularschublade, dem Ausfüllen von Vertragsmustern oder sonstigen repetitiven Tätigkeiten zu beschäftigen, die stets dem gleichen Schema folgen.

Warum also sollen Computer nicht die Aufgaben übernehmen, die Rechtsanwälten seit jeher ein Dorn im Auge sind und welche zu Unrecht mit Anwaltshonoraren bezahlt werden, oder besser: bezahlt wurden?

Die Bedrohungsszenarien, die künstlicher Intelligenz und Automation anhaften, lassen gelegentlich vergessen, dass das Einsatzgebiet dieser Technologien auf verhältnismäßig einfache Tätigkeiten beschränkt ist.

Tatsache ist: Künstliche Intelligenz wird auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, komplexe Rechtsfälle zu bearbeiten. Bei der Digitalisierung von Anwaltskanzleien werden deswegen andere Technologien die tragende Rolle spielen. Das wird schon daran deutlich, dass es verhältnismäßig wenige Kanzleien gibt, die Anwendungsfälle für Technologien wie künstliche Intelligenz und Automation bereithalten. Fälle und Aufgaben, die nach dem stets gleichen Muster abgearbeitet werden, bleiben Legal Tech Unternehmen vorbehalten. In (Groß-)Kanzleien werden sie von Software und IT- Dienstleistern nur erledigt, wenn deren Anzahl dies rechtfertigt. Einfache repetitive Tätigkeiten werden in Zukunft rentabel sein, wenn sie automatisiert als Massengeschäft bearbeitet werden.

Für die meisten Rechtsanwaltskanzleien gilt deswegen: Die anwaltliche Fallarbeit und die individuelle Betreuung des Mandanten werden mehr denn je das wichtigste Glied ihrer Wertschöpfungskette sein. Rechtsanwälte müssen sich nicht neu erfinden. Soweit erforderlich, müssen sie sich auf ihr Handwerk, die juristische Fallarbeit, zurückbesinnen, um sich vom Angebot industrialisierter Rechtsberatung abzugrenzen.

Aus Sicht der Rechtsanwaltskanzleien ist die Bedeutung von IT-Innovationen deswegen vor allem daran zu messen, ob sie die individuelle anwaltliche Fallarbeit und die damit eng verbundenen Bereiche des Fallmanagements, des Wissensmanagements und der anwaltlichen Zusammenarbeit wirkungsvoll unterstützen.

Bisher ist die juristische Fallarbeit nur rudimentär digitalisiert. Bei der Aktenarbeit werden nahezu ausschließlich Text- und Tabellenverarbeitungsprogramme wie z. B. Word und Excel genutzt. Elektronische Akten werden oft nur als Archivierungstools eingesetzt, für die Ablage von Dokumenten werden Explorer-Ordner und zumindest Lösungen wie Share-Point verwendet. Allein Diktiersoftware und Spracherkennung scheinen sich als Unterstützungstools vieler Anwälte etabliert zu haben, wobei diese bei Lichte betrachtet Sekretariats- und nicht Anwaltstätigkeiten unterstützen.

Digitale juristische Fallarbeit erfordert leicht bedienbare anwaltsspezifische Softwarefunktionen. Gebraucht wird Software für Rechtsanwälte. Das Legal Tech der Rechtsanwälte ist Lawyer Tech.

Wer in der Lage ist, Dokumente elektronisch zu archivieren, zu strukturieren und schnell wiederzufinden, kann noch lange nicht juristische Fälle digital bearbeiten. Juristische Fallarbeit ist die Arbeit mit Akteninhalten. Juristen, die einen Schriftsatz schreiben, einen Vertrag gestalten oder eine Akte einfach nur inhaltlich durchdringen, sortieren nicht Dokumente, sondern verarbeiten Akteninhalte über Dokumentengrenzen hinweg zu Inhaltestrukturen.

IT-Lösungen, die die anwaltliche Fallarbeit wirkungsvoll unterstützen, müssen deswegen Strukturierungs- und Editiertools sein. Sie müssen den gesamten Prozess der Fallarbeit von der inhaltlichen Aufbereitung des Falls bis zur Redaktion von Schriftsätzen oder Verträgen präzise abbilden. Darüber hinaus sollen sie das in den Inhaltestrukturen dokumentierte Wissen für das Kanzleiwissensmanagement aktivieren. Angesichts der geringen Technologisierungstiefe im Bereich der anwaltlichen Fallbearbeitung lässt sich leicht erahnen, wie stark solche Tools die Produktivität anwaltlicher Arbeit steigern können.

Die Arbeit mit umfangreichen Akten wird schon allein dadurch deutlich schneller und präziser, dass mit einem Mausklick nachvollzogen werden  kann, wie beliebige Akteninformationen miteinander in Verbindung gebracht und in Schriftsätzen oder Verträgen verarbeitet wurden.

Im Bereich des Wissensmanagements und der anwaltlichen Zusammenarbeit wird diese Wirkung weiter verstärkt. Inhalte- und Textstrukturen, die zu Vorlagen definiert werden, bieten die Grundlage für eine Vorlagen- und Textbausteinverwaltung, die präzise auf anwaltsspezifische Anforderungen antwortet.

Zu diesen Anforderungen gehört beispielsweise, dass Abwandlungen eines Musters, die in konkreten Fallakten entstehen, mit dem Mustertext in der Vorlagenverwaltung verknüpft werden. Das Wissen, das bei der täglichen Arbeit mit Vorlagen- und Mustertexten in Fallakten anwächst, soll ohne merklichen Aufwand in die Vorlagenverwaltung überführt werden. So soll zum Beispiel Rechtsprechung, die in einer Fallakte zu einer Vorlage recherchiert wurde, mit der Vorlage verknüpft werden. Das Wissensmanagementsystem kann dann beispielsweise bei Rechtsprechungsänderungen anzeigen, in welchen Akten Klauseln gestaltet wurden, die an die neue Rechtslage angepasst werden müssen.

Schon an diesen wenigen Beispielen wird deutlich: Rechtsanwaltskanzleien sollten sich mit Lawyer Tech befassen, damit sie an der Digitalisierung des Rechtsmarkts – Legal Tech – teilhaben.

Über den Autor:

Uwe Horwath
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie
Gründer und Mitgeschäftsführer der METHODIGY GmbH

Quelle NJW 47/2018