Legal Tech – ein digitaler Meilenstein für die Rechtspraxis?

Digitale Möglichkeiten in der Rechtspraxis
von Mag. Katharina Bisset, MSc

Hype oder die große Digitalisierungsrevolution in den juristischen Branchen – Legal Tech kann viele Aspekte der Arbeit abdecken. Maßnahmen und Tools, die unter Legal Tech fallen, können grob in externe und interne aufgeteilt werden. Bei internem Legal Tech wird die Arbeit innerhalb von Kanzleien, Rechtsabteilungen oder der Justiz digitalisiert. Das kann einerseits durch Software passieren und Digitalisierungsmaßnahmen oder durch Legal Design oder Legal Operations. Bei externem Legal Tech liegt ein großer Fokus auf Access-to-Justice; das ist im Allgemeinen die vereinfachtere, modernere und digitalere Form der Leistungserbringung für die Kunden von juristischer Arbeit wie Mandant:innen.

»Wir machen jetzt Legal Tech«

Für viele juristische Arbeitsbereiche, insbesondere in kleinen Kanzleien, kann Legal Tech wie ein unerreichbares Ziel erscheinen, etwas, wofür man viel Geld und viele Ressourcen benötigt. Dabei kann Legal Tech gerade für kleine Rechtsabteilungen und kleine Kanzleien der Wettbewerbs-Boost oder USP sein, der gleichzeitig eine große Arbeitserleichterung bringt. Ein Satz, der bei der Implementierungsverweigerung immer wieder fällt, ist: »Das haben wir schon immer so gemacht«. Der Mangel an akuten Problemen oder akutem Zwang  – gepaart mit der Angst vor der Veränderung  – kann die Implementierung von Legal Tech praktisch unmöglich machen. Es muss nicht immer der mystische »Robo-Lawyer« sein, manchmal reicht ein gutes Case-Management-Tool, eine kleine Automatisierung oder gute Prozesse. 

Oft scheint es, dass Legal Tech fast ein »Muss« in der juristischen Arbeit ist. Das führt häufig dazu, dass laut proklamiert wird: »Wir machen jetzt Legal Tech«. Mit den besten Intentionen werden zwar Tools gekauft, die man vielleicht kurz testet, aber sich keine Gedanken gemacht, wie sich diese in den Arbeitsablauf einfügen. Im schlimmsten Fall werden Tools implementiert, die in einer digitalen Schublade »verstauben«, und man kehrt zu den alt(bewährt?)en »Lösungen« zurück. So kann es passieren, dass man desillusioniert zurückbleibt und Legal Tech als Hype abstempelt.

Datenschutz und besondere rechtliche Rahmenbedingungen

In jedem Digitalisierungsprojekt muss auf jeden Fall der rechtliche Rahmen beachtet werden. Gleiches gilt auch für juristische Digitalisierungsprojekte, wobei gerade in der Anwaltschaft noch auf die zusätzlichen berufsrechtlichen Vorschiften geachtet werden muss.

Legal Tech ist nicht nur im europäischen Wirtschaftsraum ein aktuelles Thema. In den USA werden neben Softwarelösungen für die juristische Branche auch Tools von Google etc. genutzt. Europäische Jurist:innen haben keine einfache Wahl  – durch die oft sensible Natur der relevanten Daten muss auch ein besonderes Augenmerk auf Datenschutz gelegt werden. Natürlich müssen auch mit europäischen Legal-Tech-Anbietern entsprechende Verträge abgeschlossen werden. Als Praxistipp lässt sich sagen, dass die Bezeichnung »Legal Tech« nicht automatisch eine Datenschutz-Compliance bedeutet. Dies sollte jedenfalls immer geprüft werden.

Anwaltliches Berufsrecht

Über den Datenschutz hinaus spielt neben berufsrechtlichen Rahmenbedingungen auch die anwaltliche Verschwiegenheit eine wichtige Rolle, und Legal-Tech-Anbieter sollten entsprechend sorgfältig ausgewählt und vertraglich verpflichtet werden. Zusätzlich sind Vorschriften im Anwaltsmarketing anwendbar, die beim Einsatz von Legal Tech als Marketinginstrument ebenso beachtet werden müssen.

IT, IE-Commerce-Recht

Werden Legal-Tech-Tools für die eigenen Mandant:innen oder Kund:innen angewendet, müssen zusätzliche IT-rechtliche Aspekte beachtet werden. Angefangen bei den Rahmenbedingungen von Webshops bis hin zu verbraucherrechtlichen Belangen können diese Projekte eine weite Bandbreite an Rechtsgebieten betreffen.

Urheberrecht

Implementiert man Legal-Tech-Tools in der eigenen Organisation, stellt sich oft die Frage, ob Standardsoftware eingekauft werden, oder neue Lösungen gebaut werden sollten. In beiden Fällen müssen die Rechte klar definiert sein, bei Standardsoftware beispielsweise, wie viele Nutzer beinhaltet sind und ob es Beschränkungen gibt. Wird Software neu entwickelt, muss geklärt werden, ob exklusive Rechte von den Entwicklern eingeräumt werden und ob  bzw. welche Drittkomponenten (z.B. Open-Source-Software) beinhaltet sind.

Zurück zum Start: »People and Processes«

Nun stellt sich vielleicht die Frage, wo man nun überhaupt beginnen sollte. Oft erwarten Kolleg:innen eine Shoppingliste und Empfehlungen, welche Legal-Tech-Tools als »the new hot shit« gekauft werden sollten. Bevor die Kanzlei-Kreditkarte gezückt wird, sollte man aber zurück zum Start und sich über Menschen und Prozesse Gedanken machen.

Um Digitalisierungsprojekte oder Legal-Tech-Projekte erfolgreich umzusetzen, müssen auch die beteiligten Personen mit an Bord sein. Das beinhaltet nicht nur die Entscheidungsträger:innen, sondern auch die Anwender:innen und im Idealfall die Kund:innen. Je früher und umfassender die betroffenen Personen miteinbezogen werden, umso weniger Widerstand wird es geben. Es ist hier wichtig zu kommunizieren, aus welchen Gründen das Projekt geplant wird (zur Arbeitserleichterung, Umsatzsteigerung …), welche strategischen Ziele dahinter liegen, aber auch, welche Konsequenzen eine Beibehaltung des Status Quo bedeuten würde.

Nicht jedes Projekt wird nur positiv verlaufen, weshalb es wichtig ist, Vor- und Nachteile abzuwägen. Die Personen, die durch Input oder Mitarbeit am Projekt beteiligt sind, sollten daher aus möglichst vielen Anwendergruppen kommen und der Umsetzung nicht nur positiv gegenüberstehen. Sollte es Personen geben, die letzten Endes nicht mitmachen wollen oder gegen ein Projekt arbeiten, sollte dieses Verhalten auch mit Blick auf die (Kanzlei-/Unternehmens-)Strategie bewertet werden. Hilfreich können in solchen Situationen Coaches oder ein Legal-Design-Ansatz sein, um Lösungen gemeinsam zu erarbeiten.

Der erste Schritt, um effektiv Legal Tech einzuführen, ist seine eigenen Prozesse und Workflows zu kennen. Implementiert man ein Tool, welches gegen bestehende Prozesse arbeitet oder diese komplizierter macht, ist das Risiko, dass es in der Praxis nicht eingesetzt oder umgangen wird, groß. Durch die Definition und das Niederschreiben der (betroffenen) Workflows können potenzielle Probleme eventuell bereits vor Implementierung von Legal Tech gelöst oder überdacht werden. Manchmal sind keine aufwändigen Softwarelösungen für einzelne Probleme erforderlich, wenn diese mit verbesserten Prozessen und bestehender Software gelöst werden können.

Legal Tech – Outro

Legal Tech ist mehr als nur die Implementierung von aktueller Software – vielmehr ist es ein Zusammenspiel von Menschen, Prozessen und dem Wunsch, die juristische Arbeit effizienter und moderner zu gestalten, um zukunftsfit zu sein.

Über die Autorin:

 
© Wolfgang Lehner

Mag.Katharina Bisset, MSc
ist selbstständige Rechtsanwältin für IT/IP in NÖ, Co-Founder der LegalTech Unternehmen NetzBeweis und Nerds of Law, Mitglied des Disziplinarrats der RAK NÖ und des Arbeitskreis Digitalisierung des ÖRAK. Sie bildet auch deutsche Referendar:innen im Rahmen der Anwalts- oder Wahlstation (auch voll remote) aus.

Erfahren Sie mehr darüber, in welchen Bereichen Kanzleien durch Legal Tech entlastet werden.

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