Ein Jahr wie eine juristische Sekunde

von Kamil Klamser

»Ist Jura nicht eher ein ›nationales‹ Fach?« Diese Frage hört man ab und zu, wenn man von seinem juristischen Auslandsstudium berichtet. Andererseits sagte schon der britische Rechtsgelehrte Frederick Henry Lawson: »One can be a very much better English lawyer for knowing some French law.« Ohne nun in eine Diskussion über die (Inter-)Nationalität der Rechtswissenschaft eintreten zu wollen, lohnt es sich doch, dieses letztere Zitat – losgelöst von den dort angesprochenen Rechtsordnungen – im Hinterkopf zu behalten, wenn man überlegt, gegebenenfalls auch mal im Ausland zu studieren.

Mein zwei Semester langes Auslandsstudium durfte ich im Rahmen von Erasmus+ im Studienjahr 2021/22 in Spanien an der Universidad de Sevilla verbringen.

Organisation des Studiums und Fächerwahl

Einmal in Sevilla angekommen, gibt es ­einige – teils etwas aufreibende – Formalitäten hinsichtlich der Immatrikulation und der Fächerwahl zu erledigen, was durch die manchmal schwerfälligen Abläufe der spanischen (universitären) Verwaltung auch nicht unbedingt erleichtert  wird. Dafür ist die Auswahl sehr breit, wodurch man die Möglichkeit erhält, Rechtsgebiete kennenzulernen, mit denen man in München nur im respektiven Schwerpunktbereich zu tun bekäme: So etwa das Völkerstrafrecht  – welches mit der Ausweitung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine tragischerweise besonders an Aktualität gewann  – oder auch das Internationale ­Privat- und Zivilverfahrensrecht. Der Besuch der Vorlesung in letzterem veranlasste mich dazu, nach meiner Rückkehr den entsprechenden Schwerpunkt zu wählen. Neben solchen »besonderen« Rechtsgebieten bietet sich auch definitiv der Besuch der Vorlesungen im »nationalen« spanischen Recht an. Darüber hinaus werden Spanischkurse (Niveau A2 bis C1) angeboten, um die allgemeinsprachlichen Kenntnisse zu erweitern, was ich nur empfehlen kann.

Wo schon einmal von Sprache die Rede ist, möchte ich natürlich nicht unterschlagen, dass es bei manchen der in Sevilla stets spanischsprachigen Vorlesungen anfangs durchaus sein kann, dass man nicht alles versteht und sich hinsichtlich der Umgebungsgeräusche eher vorkommt wie im dritten Satz von Luciano Berios Sinfonia für acht Stimmen und Orchester. Dies liegt nicht nur am spezifischen und quer durch Andalusien noch einmal lokal ausdifferenzierten Dialekt sowie an den sonstigen Geräuschquellen, sondern auch an manch terminologischem Begriff, den man bislang nicht kannte. Dies sollte einen jedoch auf keinen Fall abschrecken, da man sich hieran schnell gewöhnt und im Laufe der Vor­lesung sozusagen on the job sein juris­tisches Spanisch-Fachvokabular erweitern kann.

Zwischen Vorlesungen und Freizeit

Die Vorlesungen in Spanien ähneln teils eher Unterrichtsstunden und sind sehr interaktiv, wobei bei vielen Dozenten auch die Mitarbeit, Hausaufgaben, Referate oder auch die Teilnahme an Zusatzvorträgen in die Gesamtnote einfließen, wenn man sich für diese Option entscheidet. Allgemein wird weniger am Gesetzestext gearbeitet als in Deutschland; in einigen Fächern ist dessen Mitnahme in die Klausuren auch verboten. Die Prüfungsform hängt stark vom Professor ab: Es kann sich um eine Multiple-Choice-Klausur, eine Falllösung, eine Klausur mit kurzen oder ausführlicheren Fragen oder andere Formate handeln. Insgesamt sind die Prüfungen in Sevilla entspannter als in München und das Niveau – soweit ich das beurteilen kann – etwas niedriger.

Sevilla ist wunderschön und bietet für jeden etwas: Clubs, Konzerte (etwa von der Real Orquesta Sinfónica de Sevilla, die allerdings qualitativ nicht an ihre Münchner Pendants heranreicht), Opern und natürlich die ganzen Sehenswürdigkeiten der Stadt: Von der Giralda aus  – dem Turm der ebenfalls beeindruckenden Kathedrale  – hat man einen sehr guten Ausblick über die gesamte Altstadt. Die Plaza de España  – ein Bauwerk, das ­anlässlich der iberoamerikanischen Ausstellung von 1929 errichtet wurde  – sowie der Real Alcázar de Sevilla, ein ziemlich großer königlicher Garten mit teils islamisch geprägter Architektur, haben schon etwas Einzigartiges an sich. Selbiges gilt auch für das Hauptgebäude der Universität, die Real Fábrica de Tabacos – ganz zu schweigen von den Prozessionen der verschiedenen Hermandades während der Karwoche und der kurz darauf stattfindenden Feria, einem sevillanischen Volksfest. Die Erasmus-Organisationen »ESN Sevilla« und »Erasmus Club Sevilla« bieten jeweils günstige Ausflüge an. Die Lebenshaltungskosten sind in Sevilla insgesamt geringer als in München, jedoch machte sich auch dort 2022 die Inflation bemerkbar.

Was das Zwischenmenschliche angeht, so war es nicht schwer, mit den Leuten an der Universität in Kontakt zu treten; hier waren praktisch alle sehr offen und hilfsbereit. Man lernt zudem Studierende aus unterschiedlichsten Ländern kennen, was wirklich eine Bereicherung darstellt.

Fazit

Insgesamt habe ich zwei wundervolle Semester in Sevilla verbringen dürfen und kann dies auch jedem nur weiterempfehlen. Gerade das Kennenlernen eines anderen universitären Systems und neuer Rechtsgebiete sowie das Schließen toller neuer Freundschaften haben den Studienaufenthalt in Sevilla für mich zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht. Letztlich ist das Auslandsjahr auch viel zu  schnell  – quasi wie eine juristische Sekunde – vergangen.

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Über den Autor:

Kamil Klamser
studiert Rechtswissenschaften im 6. Fachsemester an der LMU München im Schwerpunktbereich Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht. 2021/22 verbrachte er ein Auslandsjahr (Erasmus+) an der Universidad de Sevilla. Seit Februar 2023 ist er studentische Hilfskraft am ZAAR-Lehrstuhl für Sozialrecht, Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht (Prof. Dr. Richard Giesen).

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