Diversity – was ist das? Und wie kann es in Kanzleien gelebt werden?

von Carmen Schön

Viele Kanzleien und Unternehmen beschäftigen sich seit einiger Zeit mit dem Thema Diversity. Was das genau ist, warum das Thema so wichtig ist und wie Sie Diversität in der Kanzlei umsetzen können, das erläutert dieser Artikel.

Was genau ist Diversity eigentlich?

Diversity ist ein Ansatz, der die Vielfalt in unserer Gesellschaft aufzeigen möchte. Alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion oder Herkunft sollen Anerkennung erfahren und wertgeschätzt werden. Klassischerweise unterteilt man die Dimensionen von Diversity in Alter, Geschlecht bzw. geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung, Religion und Weltanschauung sowie Behinderung und ethnische Herkunft oder Nationalität.

Gerade in Kanzleien ist oftmals der Frauenanteil ab einer gewissen Seniorität deutlich kleiner. Daher wird unter dem Begriff „Diversity“ in Kanzleien die Frauenförderung in das Zentrum der Diversity-Aktivität gesetzt.

Ziel ist es, unabhängig vom Geschlecht jedem Menschen die gleiche Karriere- und Beförderungschance in der Anwaltskanzlei einzuräumen und – auch im Bewerbungsgespräch – unabhängig von Geschlecht, Aussehen und sozialem Hintergrund alle gleich zu behandeln.

Warum lohnt es sich für Kanzleien und Anwält:innen, Diversity in den Fokus zu setzen?

Im Fokus der meisten Kanzleien steht heutzutage das Thema „Mitarbeiter:innen finden und binden“. Bereits 2025 werden Millennials, die großen Wert auf Diversity legen, 75 Prozent der Arbeitnehmer:innen stellen. Dennoch haben 54 Prozent der Unternehmen Diversity und Inklusion nicht im Employer Branding verankert. Damit laufen sie Gefahr, weniger attraktiv als Arbeitgeber zu sein.

Und – der Grad an Vielfalt hat einen hohen Einfluss auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen. Unternehmen mit einem ausgereiften Diversity Management verzeichnen zu 72 Prozent zufriedene Mitarbeiter:innen – unter den Unternehmen mit niedrigem Reifegrad sind es nur 37 Prozent.

Aber es gibt noch einen weiteren Grund, warum es für Kanzleien wichtig ist, Diversity auf die Agenda zu nehmen. Mandant:innen fordern von ihren Berater:innen ein diverses Beraterteam. Ein Pitch wird möglicherweise heutzutage schon dann verloren, wenn im Berater:innen-Team nur Männer sitzen.

Insofern kann man sagen, dass Diversität die Zukunft von Unternehmen absichert und weit mehr als ein Nice-to-have ist. Unternehmen und somit auch Kanzleien mit einer inklusiven Kultur binden Talente an sich und behaupten sich innovationsstark am Markt.

Wie kann man sich diverser in einer Kanzlei aufstellen?

Wenn Sie sich mit dem Thema Diversity in der Kanzlei beschäftigen möchten, geht es zunächst darum, die so genannten „Unconscious Bias“ zu verstehen.

Mit welcher Denkhaltung bzw. Prägung wird in Ihrer Kanzlei eingestellt oder befördert? Beispiel – denken Sie an einen ehrgeizigen, zielstrebenden Menschen! Welches Bild fällt Ihnen dazu ein? Ein Mann oder eine Frau? Beispiel – eine Anwältin ist schwanger – welche Beschreibungen fallen Ihnen dazu ein? Hat sie die Chance, Equity Partnerin in der Kanzlei zu werden?

Bias – also kognitive Verzerrungen – sind bis zu einem gewissen Grad menschlich. Jeden Tag prasseln unzählige Informationen auf das menschliches Gehirn ein, sämtliche Sinne werden mit Details geradezu überflutet. Auf Basis dieser Informationen müssen Sie Entscheidungen treffen. Viele davon laufen routiniert und nahezu unbewusst ab: Sie wissen z. B., dass Sie bei Regen einen Regenschirm mitnehmen müssen, Sie wissen aufgrund von Erfahrungswerten, welche E-Mails Sie besser sofort beantworten und welche noch Zeit haben.

Auch im Umgang mit anderen, fremden Menschen spulen wir ein bestimmtes Programm (höfliches Grüßen, sich vorstellen, freundliche Körpersprache und Mimik) ab. Unser Gehirn hat sich eine gewisse Effizienz angeeignet, auf der Basis bestimmter Erfahrungen werden kognitive Abkürzungen (auch Heuristiken genannt) genommen. Es entsteht das, was als Schubladendenken bezeichnet wird und den (Arbeits-)Alltag ungemein erleichtert. Denn wenn bei jeder Entscheidung dieselbe Energie aufgewendet werden müsste, kämen Sie nie zu etwas.

9 Tipps für das Fördern von Diversity in Kanzleien

Wenn Sie an Ihren "Schubladen" arbeiten und Ihre kognitiven Verzerrungen bearbeiten möchten, können Sie Folgendes tun, um die Diversität in Ihrer Kanzlei zu fördern:

  • Training des Selbst-Bewusstseins – was genau ist die zugrunde liegende Assoziation Ihres Bias?
  • Aktive Selbstzweifel – Gründe für Entscheidungen aufschreiben und bewerten
  • Gruppenbewusstsein schaffen – sich fragen, ob man bei einem Ingroup-Mitglied die gleiche Entscheidung gefällt hätte als bei anderen
  • Stereotype verneinen – laut aussprechen und NEIN sagen und einen Gegentyp schaffen und laut JA sagen
  • Visualität – sich mehr weibliche Führungskräfte als Bild anschauen – reduziert das Vorurteil
  • Gegenstereotype suchen – Männer, die ein Baby füttern z. B. als Bildschirmschoner laden
  • Engagement in Cross-Difference-Relationships – Arbeiten mit Menschen anderer sozialer Identitäten
  • Mix it up – sich in Situationen begeben, wo man selbst die soziale Minderheit ist
  • Reduktion von Stress und Müdigkeit – Entspannung schafft Offenheit

Viel Spaß beim Erkunden Ihrer „Bias“!

Über die Autorin:

Carmen Schön,
ist Managementberaterin, Juristencoach und Bestsellerautorin und berät, trainiert und coacht seit über 12 Jahren Anwaltskanzleien, Juristen, Führungskräfte und TOP Manager in Unternehmen zu den Themen Geschäftsaufbau, Führung, Auftritt und Wirkung sowie Verhandlungsmanagement. 
Kontakt: kontakt@carmenschoen.de

Der Artikel erschien erstmals als Beitrag in der Printausgabe Beck-Stellenmarkt 07/2022.

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