Sachverständigenvergütung: Wenn die Vorschussüberschreitung zur Kürzung führt

von Katharina Bleutge

Sachverständige, Rechtsanwälte und Gerichte sollten sich mit den Regelungen der §§ 407a Abs. 4 S. 2, 2. Alt. ZPO, § 8a Abs. 4 JVEG gut auskennen – für Sachverständige geht es um ihr Honorar, für Rechtsanwälte um Kosten für Ihre Mandanten und Gerichte müssen im Streitfall hierüber entscheiden.

Worum geht’s?

Sachverständige stehen in der Pflicht, auf eine erhebliche Überschreitung des für ihre Beauftragung von der vorschusspflichtigen Partei eingeholten Kostenvorschusses rechtzeitig hinzuweisen. Übersteigt die Vergütung des Sachverständigen den angeforderten Auslagenvorschuss erheblich und weist er nicht nach § 407a Absatz 4 Satz 2 ZPO rechtzeitig auf diesen Umstand hin, erhält er gem. § 8a Abs. 4 JVEG die Vergütung grundsätzlich nur in Höhe des vorhandenen Auslagenvorschusses (brutto).

Die Rechtsfolgen eines verschuldeten Hinweisverstoßes sind erst bei der letzten Novellierung des JVEG 2013 in einem neuen § 8a gesetzlich geregelt worden; zuvor hatte sich eine Rechtsprechung etabliert, die bei einer erheblichen Überschreitung des Kostenvorschusses ohne Hinweis des Sachverständigen diesem den eingezahlten Betrag plus einen „Toleranzzuschlag“ von 20 – 25 % zubilligte.

Zudem wurde regelmäßig geprüft, ob der Sachverständige auch in Kenntnis der Parteien von den höheren Sachverständigenkosten von seinem Auftrag entbunden worden wäre.

Wo ist das Problem?

Schwierigkeiten machen der unbestimmte Rechtsbegriff der „Erheblichkeit“ und die unterschiedliche Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen eines Pflichtenverstoßes des Sachverständigen.

In Rechtsprechung und Literatur wird eine erhebliche Überschreitung überwiegend bei 20 – 25 % angenommen1. Diese Spannbreite wirft Fragen auf – was ist beispielsweise, wenn eine Überschreitung von 23 % vorliegt? Und muss vor einer Kürzung geprüft werden, ob die Beauftragung des Sachverständigen in Kenntnis der höheren Kosten überhaupt abgebrochen worden wäre2? Und kann unter Anwendung des § 8a Abs. 4 JVEG ein „Toleranzbetrag“ von 20 – 25 % des eingezahlten Vorschusses zugesprochen werden?

Diese Fragen werden teils unterschiedlich beantwortet – eine klärende höchstrichterliche Entscheidung hierzu wäre wünschenswert, ist aber im Kostenverfahren nach dem JVEG nicht möglich, da der Rechtsweg an ein oberstes Bundesgericht nicht zulässig ist (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).

Was tun?

Sachverständige sind gut beraten, wenn sie ihrer Hinweispflicht nachkommen, sobald sie an die 20 %-Grenze des eingezahlten Kostenvorschusses stoßen, auch wenn mehrere Gerichte entschieden haben, dass eine hinweislose Überschreitung um bis zu 25 % wegen fehlenden Verschuldens des Sachverständigen unschädlich ist3. Sie können außerdem vortragen, dass sie auch bei rechtzeitigem Hinweis nicht von ihrer Aufgabe entbunden worden wären4. Hilfsweise könnten sie unter Hinweis auf entsprechende Rechtsprechung und Literatur einen 20 – 25 %igen „Toleranzzuschlag“ beantragen5.

Rechtsanwälte können sich auf die restriktive Rechtsprechung und Kommentarliteratur berufen, die auf den klaren Wortlaut des § 8a Abs. 4 JVEG abstellen und „ohne wenn und aber“ die Vergütung des Sachverständigen auf den eingezahlten Kostenvorschuss kürzen, wenn dieser nicht rechtzeitig auf die Überschreitung hingewiesen hat6.

Und Gerichte? Sie sollten den Tatbestand des § 8a Abs. 4 JVEG im Einzelfall sachgerecht auslegen und dabei berücksichtigen, ob das Gutachten voll verwertet wurde und ob die Parteien die Klärung der Beweisfrage wirklich abgebrochen hätten, wenn sie von den höheren Kosten des Sachverständigen Kenntnis gehabt hätten.

Eine solche Auslegung geht auch mit der Gesetzesbegründung konform: danach soll die Vergütung des Sachverständigen mit dem Betrag des Vorschusses gekappt werden, wenn er auf eine erhebliche Überschreitung des Vorschusses nicht hingewiesen hat. Eine Soll-Vorgabe lässt immer auch begründete Ausnahmen zu.

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1 Rechtsprechungsübersichten bei Meyer/Höver/Bach/Oberlack/Jahnke, JVEG, 27. Aufl. 2018, § 8a, Rn. 33; Schneider JVEG, 3. Aufl. 2018, § 8a, Rn. 38; Hartmann Kostengesetze, 48. Aufl. 2018, § 8a, Rn. 64; Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 4. Aufl. 2019, § 8a, Rn. 17.
2 so OLG Dresden, 13.10. 2015, Az.: 3 W 992/15 (IfS-Informationen 4/2015, 23); Thüringer OLG, 1.8. 2014, Az.: 7 U 405/12 (BeckRS 2015, 2130); OLG Frankfurt/M, 5.8. 2013, Az.: 11 U 36/08 (Kart), (IfS-Informationen 4/2013, 19); LSG Baden-Württemberg, 30.4. 2015, Az.:L 12 KO 1307/13 (BeckRS 2015, 68840); OLG Karlsruhe, 10.4. 2017, Az.: 13 W 25/17 (DS 2018, 70); aA: OLG Karlsruhe, 28.9. 2018, Az.: 15 W 57/18 (IBR 2019, 48); OLG Hamm, 8.5. 2015, Az.: I-12 U, 62/14 (IfS-Informationen 3/2015, 28); Kommentarliteratur aaO.
3 OLG Hamm, 4.1. 2018, Az.: 1 – 25 W 300/17 (IfS-Informationen 1/2018, 28): „Da von einem gewichtigen Teil der Literatur und Rechtsprechung die Grenze der Erheblichkeit erst bei 25 % gezogen wird, kann dem Sachverständigen nicht vorgeworfen werden, die Anzeige der um 24,3 % überschrittenen Vergütung schuldhaft unterlassen zu haben, da er davon ausgehen konnte, sich mit der Überschreitung des Vorschusses noch im zulässigen Rahmen zu halten.“. So auch LG Berlin, 11.5. 2018, Az.: 55 T 90/17 WEG (IfS-Informationen 3/2018, 18).
4 OLG Dresden, Thüringer OLG und OLG Frankfurt/M, aaO.
5 OLG Hamm, 14.10. 2014, Az.: 10 U 104/11 (IBR 2015, 46); Beck-Online-Kommentar KostR/Bleutge, 24. Edition 2018, JVEG, § 8a Rn. 33 mit weiteren Rechtsprechungszitaten; K. Bleutge in Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 5. Aufl. 2015, § 41, Rn. 81.
6 s. Rn. 2.; Meyer/Höver/Bach/Oberlack/Jahnke, JVEG, 27. Aufl. 2018, § 8a, Rn. 33

Über die Autorin:

Katharina Bleutge
Rechtsanwältin, Justiziarin des Instituts für
Sachverständigenwesen e. V. (IfS) in Köln sowie 
Redaktionsleiterin der Sachverständigenzeitschrift
„IfS-Informationen“ und der „IfS-Publikationen“

Quelle NJW 14/2019