Digitalisierung des Rechtsmarktes - Legal Tech beginnt im Inneren

von Susann Seyfried, Director Marketing bei der STP Informationstechnologie AG The Legal Tech Company in Karlsruhe

Die Digitalisierung des Rechtsmarktes mit allen Facetten zwingt kleine und große Kanzleien zu einer Auseinandersetzung mit dem Kanzlei-Inneren. Jetzt ist nicht nur ein Aufrüsten der Hard- und Software notwendig, sondern ein tiefgreifendes Verständnis für die aktuelle Situation und die Herausforderungen des Marktes sowie seiner Akteure (Mandant, die eigene Kanzlei, der Wettbewerb und der einzelne Anwalt) gefragt.
In diesem Prozess allerdings stehen sich Kanzleien und Berufsträger nicht selten selbst im Weg und verlieren so potentiellen innovativen Vorsprung (sowohl bei der Nutzung eigener Daten als auch bei der Produktentwicklung für den Mandanten). Mit ein Grund für diesen Verlust ist ein negatives Mind-Set, denn Digitalisierung macht deutschen Anwälten Angst.

Angst blockiert

Wer Angst hat, kann Positives kaum noch sehen und ist blind für Möglichkeiten in der Zukunft. So geht es auch vielen Anwälten, die – laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) – zu 50 Prozent der Digitalisierung des Anwaltsmarktes höchst skeptisch gegenüber stehen. Schaut man genauer hin und hinterfragt diese Ängste, wird schnell klar, dass nicht selten ein zu geringes technisches Verständnis zu einer grauen Zone angstbesetzter Interpretationen führt. Anwälte waren in der Vergangenheit in der Breite wenig IT-affin und auch heute sind die, die über neue technische Wege und Lösungen entscheiden sollen, eher die Partner, die die technische Umsetzung nicht verstehen und auch nicht verstehen wollen, weil sie darin – zu Recht – nicht ihre Aufgabe sehen.
Wer aber kein grundlegendes technisches Verständnis mitbringt und die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der EDV nur schwer annehmen kann, kann auch keine Lust auf eine konsequente Nutzung und keine Freude beim Sich-Einlassen auf softwarebasierte Anwalts-Unterstützung entwickeln. Dabei sind die Möglichkeiten enorm und das schon bei der Digitalisierung der grundlegenden Prozesse innerhalb einer Kanzlei.

Die Kanzlei selbst birgt die Schätze

In jeder Kanzlei, völlig unabhängig von Größe, Standort oder Spezialisierung, sind die Basisprozesse gleich:

– Zeiterfassung und Rechnungsstellung,
– Volldigitalisierte Aktenführung und
– Kanzlei-Steuerung durch Kennzahlenermittlung (Controlling).

Beleuchtet werden soll beispielhaft die Zeiterfassung und Rechnungsstellung: Bereits in der Zeiterfassung lässt sich nachweisen, dass eine Vielzahl von Zahlungsausfällen deshalb entsteht, weil die Zeit von der Leistungserbringung bis zur Rechnungsstellung viel zu lang dauert.
Weit über 30 Prozent aller Kanzleien in Deutschland brauchen mehr als 120 Tage für die Rechnungsstellung nach der anwaltlichen Beratung. Dass die Bereitschaft des Mandanten zur einspruchslosen Zahlung der Rechnung im direkten Verhältnis zur Erinnerung an die Beratungsleistung steht, dürfte jeder für sich selbst nachvollziehen können.

Ebenso hoch ist der Wirkungsgrad-Verlust der Stundenabrechnung in der Mandatsarbeit. Werden Zeiten in der Kanzlei nicht automatisch (beispielsweise durch automatisierter Time Capturing bei Öffnung der Akte und „Bewegung“ in ihr) erfasst, werden nachweislich weitaus weniger (bis zu 40 Prozent) Zeiten in Rechnung gestellt. Dieser Wert erhöht sich, wenn die Zeiterfassung nicht nur automatisch, sondern manuell und sporadisch (zum Beispiel 1x wöchentlich) erfolgt.

Die Erfolgsformel: Moderne Ölförderanlagen in Kanzleien

Das Zeitbeispiel zeigt, dass der Satz „Daten sind das neue Öl“ auch auf Daten von Kanzleien zutrifft. Sie sind wertvoll. Die optimale Erfassung der Zeiten aller Berufsträger zum aktuellen Zeitpunkt und unabhängig vom Ort kann nur automatisiert realisiert werden. Voraussetzung dafür ist eine automatisch generierte Datengrundlage durch:

– Time Recording-Zeiterfassung,
– Erfassungssperre „alter“ Zeiten (wirkt sich stark auf die Bereitschaft der Berufsträger aus),
– ein EDV-System, das alle Abrechnungs- und Erlösverteilungsvarianten unterstützt und automatisiert abrechnen kann und
– die Bereitschaft zur Prozessanpassung in Standardisierung in der Kanzlei.

Nach der Automatisierung der Zeiterfassung und der Rechnungsstellung konnten begleitete Kanzleien im Durchschnitt die abrechenbaren Stunden um acht Prozent steigern und gleichzeitig Zahlungsausfälle um 22 Prozent pro Jahr senken.

Automatisierte Zukunft

Auch in der Zukunft wird der Rechtsmarkt stark von Automatisierung und Digitalisierung geprägt. Grundlage für echte Effizienz und betriebswirtschaftliche Nutzpotentiale ist ein hervorragender Datenbestand, der professionell genutzt wird. So werden in der Zukunft Kanzleidaten beispielsweise genutzt werden, um prädiktive Analysen des Mandantenbestandes zu realisieren. Diese Analyseverfahren berechnen anhand statistischer Variablen Wahrscheinlichkeiten in der Zukunft. Eine optimale Auslastung der Highperformer wird auf diese Weise gesichert und Prognosen zum zukünftigen Mandatierungsverhalten können mittels dieses Verfahrens zudem vorgenommen werden.
Mit Hilfe von Sales Intelligence werden Mandanten-Informationen bereits bei der Aktenanlage aus öffentlichen Daten zusammengetragen und mittels Mail-Bots werden eingehende E-Mails automatisch der passenden E-Akte zugeordnet.

Das alles sind Beispiele für eine greifbare Zukunft, die in den Startlöchern steht. Diese Zukunft und ihr Erfolg fußen nicht unwesentlich auf Datenqualität und innovativen Datenverarbeitungstechniken.
Ein Grund mehr, sich mit den neuen Technologien zu befassen.

Quelle NJW 47/2017