Elektronische Akteneinsicht – die Machbarkeit einer papierlosen Kanzlei

von Hans-Joachim Bickel, Leiter Produktmanagement und Service Rechtsanwaltsmarkt bei der DATEV eG, Nürnberg

Im Fußball heißt es so schön: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!
So ähnlich könnte man es nun auch für die Situation im elektronischen Rechtsverkehr formulieren – denn nach dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) ist vor dem elektronischen Akteneinsichtsportal.

Das beA steht schon vor der Tür, die notwendigen Schritte sind bereits getan. Ab dem 1.1.2016 kann und muss jeder Rechtsanwalt über das von der BRAK eingerichtete Postfach elektronisch erreichbar sein. Dies ist aber nur ein Puzzleteil im Gesamtgefüge der Möglichkeiten, die im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs zulässig sind. Die Vision eines ganzheitlichen digitalen Workflows im anwaltlichen Arbeitsalltag nimmt immer weiter Form an und der Wunsch nach Digitalisierung weitet sich auf sämtliche Kanzleiprozesse aus.

Akteneinsicht 2.0

Für die Rechtsanwälte ist es beispielsweise ein ganz wesentlicher Teil der Sachbearbeitung, den tatsächlichen Inhalt einer Akte zu kennen – unabhängig davon, ob es sich nun um eine Behördenakte, eine Unfallakte der Polizei oder eine Gerichtsakte handelt. Nur so ist eine vollständige Erkundung der Sach-, Rechts- und Beweislage überhaupt möglich.
Bisher wird dieses Verfahren auf umständliche Weise auf dem Papierweg durchgeführt und beinhaltet vom schriftlichen Antrag auf Aktensicht, dem Holen der Akte bei Gericht, das selbstständige Kopieren der Papierakte und ggf. Einscannen und in das eigene Dokumentenmanagementsystem Übertragen bis hin zum Rücksenden der Akte sämtliche zeitintensiven Arbeitsschritte. Dies verursacht erheblichen personellen und zeitlichen Aufwand - sowohl bei der Justiz als auch in der Anwaltskanzlei.

Die Vorteile, dieses Verfahren über den elektronischen Weg abzuwickeln, liegen auf der Hand: Eine elektronische Akteneinsicht eröffnet die Möglichkeit, die Akten vom eigenen Computer per Internet anzufordern, einzusehen und – soweit erforderlich – zu speichern. Auf beiden Seiten werden bei solcher Verfahrensweise Personal-, Zeit-, Raum- und vor allem Portokosten eingespart.

Anregungen für die Umsetzung der elektronischen Akteneinsicht

Denkbar ist unter Einbindung z.B. des beA folgender Workflow:
• Die Justiz und die Behörden haben ein Internet-Portal.
• Der RA sendet über das beA oder einen vergleichbaren sicheren Weg mittels eines elektronisch signierten Dokumentes den Antrag auf Akteneinsicht an das Gericht oder die Behörde.
• Wird die Akteneinsicht gewährt, erhält der Anwalt eine verschlüsselte Nachricht mit einer darin enthaltenen PIN.
• Der Anwalt geht im Internet auf das Justiz- oder Behördenportal und wählt die Behörde oder das Gericht aus, wo er die Akteneinsicht beantragt hat.
• Der Anwalt gibt die ihm mitgeteilte PIN ein.
• Der Anwalt wird aufgrund seiner eingegebenen PIN durchgeroutet auf die Akte, die er einsehen will.
• Der Anwalt kann die Dokumente beispielsweise als pdf herunterladen und in seinem System speichern.

Erste praktische Erfahrungen

Dieses Vorgehen ist keine Wunschvorstellung. Pilotprojekte zu solchen Workflows findet man bereits in den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Das alles setzt natürlich voraus, dass flächendeckend elektronische Akten bei den Behörden und Gerichten geführt werden. Erste Ansätze hierzu findet man auch in einem Referentenentwurf des BMJuV, dem Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen.

Der Wandel hin zur elektronischen Akte ist in der Anwaltschaft schon seit Langem zu spüren. Die Softwarehersteller haben diesen Trend schon vor Jahren erkannt und in ihren Software-Lösungen zur Kanzleiorganisation integriert. Das papierlose Anwaltsbüro wird insbesondere in den Kanzleien, die bereits mit Kanzleisoftware arbeiten, gelebt. Deshalb ist auch der Wunsch nach mehr Digitalisierung in den Kanzleiprozessen immer größer. Mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach ist bereits der erste Schritt getan. Mit einem elektronischen Akteneinsichtsportal wird auch die nächste Stufe zur digitalen Kanzlei erreicht. Diese Änderungen in der Arbeitsweise und Kanzleiorganisation geben aber auch all denjenigen Anwälten, die bislang noch keine Kanzleisoftware im Einsatz haben, die Chance, ihre internen Kanzleiabläufe zu optimieren und auf den Zug der Digitalisierung aufzuspringen.
Denn jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, alle anderen mit der Aktenbearbeitung zusammenhängenden Vorgänge elektronisch umzusetzen. Es ist für alle Beteiligten wünschenswert, dass Verwaltung und Justiz die elektronische Akteneinsicht sicher, unkompliziert und zeitnah umsetzen.

Quelle NJW 47/2015