Dienstleistung 4.0 – Herausforderung und Chance für die Steuerkanzlei

von Matthias Glahn, Geschäftsführer der BMD GmbH in München

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit mit dem Thema Industrie 4.0 und aktuell auch mit Dienstleistung 4.0. Diese auf den ersten Blick eher abstrakten Begriffe sind auch für die steuerberatenden Berufe von Bedeutung.

Der Gedanke hinter Dienstleistung 4.0 ist einfach zu verstehen: Der seit Jahren rasant zunehmende Digitalisierungsgrad der deutschen Wirtschaft soll den Dienstleistungsbereich mit der industriellen Wertschöpfungskette prozessgesteuert verknüpfen. Denken wir diesen Ansatz nun konsequent weiter, findet sich der Steuerberater, als Outsourcing-Dienstleister seiner Mandanten, sehr schnell als ein Glied in der digitalen Prozesskette wieder.

Herausforderung: Durchgängig prozessorientierte Wertschöpfungskette schaffen

Die große Chance für die Steuerkanzlei besteht darin, durch innovative, wettbewerbsfähige und qualitativ hochwertige Dienstleistungen und Technologien nicht nur einen eigenen Wettbewerbsvorteil zu erzielen, sondern vielmehr auch die Produktivität und das Wachstumspotential der Mandanten und der Kanzlei optimal zu unterstützen.

Die Herausforderung für den Berufsstand des Steuerberaters besteht wiederum darin, die eigenen Kanzleiprozesse so mit den Prozessen des Mandanten digital zu vernetzen, dass eine durchgängig prozessorientierte Wertschöpfungskette entsteht.

Dabei geht es nicht um die schlichte Bereitstellung von Resultaten aus der deklaratorischen und fiskalischen Leistung der Kanzlei für den Mandanten, z. B. in Form von Auswertungen im PDF-Format, abgelegt auf einem Mandantenportal. Dieser Prozess muss wesentlich globaler und zugleich individuell auf das jeweilige Mandat zugeschnitten betrachtet werden.

In vielen Bereichen ist die digitale „Zusammenarbeit“ mit dem Mandanten in Teilen bereits in den Kanzleien installiert: Eingangsbelege werden idealerweise digital und, dank einer OCR-Erkennung, dem Kanzleimitarbeiter schon vorkontiert geliefert. Kassenbücher werden vom Mandanten digital geführt und ebenso wie Rechnungsausgangsdaten in das Softwaresystem der Kanzlei importiert. Kontoauszüge werden digital abgerufen und softwaretechnisch vorkontiert verarbeitet. Monatliche Auswertungen aus dem Rechnungswesen oder der Lohnbuchhaltung werden dem Mandanten, z. B. per Email oder über ein Mandantenportal, digital zu Verfügung gestellt usw.

Wenden wir jedoch eine ganzheitliche Betrachtung der möglichen Dienstleistungen der Kanzlei für ihren Mandanten an, so erschließt sich schnell, dass der Gesamtprozess dort wesentlich komplexer ist, als was vielfach in der Praxis wahrgenommen und umgesetzt wird.

Angefangen bei der Angebotslegung, dem Einkauf und ggf. der Produktion, über die Fakturierung und das laufende Rechnungswesen, die Liquiditätssicherung durch ein funktionierendes Mahnwesen, die Planung und Liquiditätskontrolle, bis hin zu einem intelligenten Cash-Management und weiter zum Jahresabschluss und den Steuererklärungen – es gibt unzählige Faktoren und Prozessglieder, die vom Steuerberater ganz individuell berücksichtigt und auf das Mandat abgestimmt werden müssen.

Aktualität und Zeitnähe sind hier die entscheidenden Erfolgsfaktoren für eine nahtlose und intelligente Verknüpfung der Dienstleistungen der Kanzlei in die Prozess- und Wertschöpfungskette des Mandanten hinein.

Zukünftige Anforderungen für Kanzleien

Vor diesem Hintergrund bekommt der Begriff Dienstleistung 4.0 einen noch höheren Stellenwert. Mit dem Fortschreiten der Digitalisierung wird sich auch der Dienstleistungssektor grundlegend und nachhaltig verändern. Onlinebasierte Geschäftsmodelle werden klassischen Angeboten zunehmend starke Konkurrenz machen und diese mittel- bis langfristig verdrängen. Das betrifft auch das klassische Angebot der Steuerberatung, so wie wir es heute kennen.

Die digitale Transformation, also die Veränderung bestehender Geschäftsmodelle und die Erschließung neuer Geschäftschancen vor dem Hintergrund der Digitalisierung auf Basis der Internettechnologie, wird mittelfristig einen entscheidenden Einfluss auf die Strategie, die Kultur, die Struktur und letztlich die klassischen Geschäftsfelder der Steuerberatung haben.

Doch wie kann eine Kanzlei sich schon heute dezidiert auf die Anforderungen von morgen vorbereiten?

Grundlage dafür ist eine klare Vision und Strategie für alle Geschäftsfelder der Kanzlei und die Bereitschaft, hier in klassische und vor allem moderne IT-Infrastruktur zu investieren. Dabei gilt es auch, neue Geschäftsfelder, die sich aufgrund der Digitalisierung erschließen, zu definieren und IT-technisch zu unterstützen.

Hier ist in erster Linie der Software- und Systempartner der Kanzlei gefragt, die erforderlichen Werkzeuge, Technologien und Schnittstellen auch bereit zu stellen. Ein innovatives Softwaresystem für die Steuerkanzlei vereint schon heute klassische Technologien in Verbindung mit modernen Cloud-Services und Onlineplattformen.

Diese IT-Systeme ermöglichen es der Kanzlei und den Mandanten, interaktiv und online über die Cloud oder eine App auf dem Smartphone, in Echtzeit arbeitsteilige Prozesse in die Wertschöpfungskette von Kanzlei und Mandant zu integrieren.

Eine einheitliche Softwareplattform für die Belange der Kanzlei und des Mandanten, mit der Möglichkeit zur Einbindung weiterer Dienstleister für Spezialthemen wie z. B. Mahnverfahren oder Mandanteninformationen, wird hier zu nicht unerheblichen Wettbewerbsvorteilen verhelfen und so den eingangs dargestellten Gesamtprozess beim Mandanten optimal unterstützen.

Von der Faktura bis zur Bilanz: Die digitale Transformation bringt neue Herausforderungen. Dienstleistung 4.0 in der Steuerberatung ist die Antwort darauf.

Quelle DStR 41/2016