Ausbildung „europäischer Juristen“ durch internationale Bachelor- und Master-Programme

von Dr. Jan Kruse, Akademischer Oberrat, Leiter des Zentrums für Internationale Beziehungen der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität zu Köln

Trotz der im Mai 2015 von Paris und Berlin geäußerten Absicht, „weniger Brüssel“ (FAZ, 27.5. 15, Nr. 120, S. 15) zu wollen und weitere Eingriffe in ihre Souveränität zu verhindern, gelten Deutschland und Frankreich zu Recht als Motor der europäischen Integration.

Die Wirtschafts- und Währungsunion wächst – ungeachtet aktueller Abspaltungstendenzen in Griechenland und Großbritannien – immer enger zusammen. Es ist aber nicht nur eine wirtschaftliche, sondern immer mehr eine politische Union, die einen umfassenden europäischen Rechtsraum bildet.

Die Juristenausbildung ist jedoch bis heute weitgehend national geprägt. Es stellt sich daher die Frage, wie national geprägte Juristen den Anforderungen eines solchen komplexen europäischen Wirtschaftsraumes mit all seinen Bedürfnissen nach einer grenzüberschreitenden Rechtsberatung gerecht werden können. Was sollte ein „europäischer Jurist“ können, wo kann man ihn finden?

„Europäische Juristen“

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, hat konkrete Vorstellungen von einem „europäischen Juristen“.

Danach soll der europäische Jurist „(1.) Akteur in nationalen, europäischen und internationalen Normerzeugungsprozessen, (2.) Europäer und Kosmopolit, (3.) Generalist und „Wissensexperte“, (4.) theoretisch und wissenschaftlich ausgebildeter Praktiker, (5.) „Spitzenjurist“, (6.) inter- und vor allem transdisziplinär dialogfähiger sowie (7.) sozialkompetenter Teilnehmer kommunikativer Prozesse“ sein. (A. Voßkuhle, RW 2010, S. 326, 346.)

Er schließt sein Leitbild mit dem wichtigen Hinweis, dass der „europäische Jurist – wie wir ihn uns wünschen – […] kein Technokrat, sondern Träger und Vermittler der Werte ist, die die „europäische Rechtskultur“ ausmachen.“ (A. Voßkuhle, RW 2010, S. 326, 346.)

Voßkuhle stellt klar, dass man sich diesem Leitbild nur annähern kann, aber stellt fest, dass die „Aufgabe, ein guter europäischer Jurist zu werden, […] nicht mit dem Zweiten Staatsexamen“ endet. (A. Voßkuhle, RW 2010, S. 326, 346.)

Von diesem Befund ausgehend richtet dieser Beitrag den Blick auf die wachsende Zahl der internationalen juristischen Joint- und Double-Degree-Programme. Im Vordergrund steht dabei das „Kölner Modell“, das wie bisher an der deutschen juristischen Staatexamensausbildung festhält, aber gleichzeitig zu einem zweiten ausländischen Juraabschluss führt.

Bachelor- und Master-Doppelabschlussprogramme mit Frankreich

Mit Frankreich bestehen die meisten Doppelabschlussprogramme zwischen deutschen und französischen juristischen Fakultäten. Diese Programme werden von der Deutsch-Französischen Hochschule (DFH) seit über 15 Jahren gefördert. Die Universitäten in Berlin (Humboldt), Bochum, Düsseldorf, Erlangen-Nürnberg, Köln, Mainz, München (LMU), Potsdam und Saarbrücken bieten solche binationalen Bachelor- und Maîtrise-Studienprogramme an, die klassischerweise deutsches und französisches Recht vermitteln.

In Köln werden in den ersten zwei Jahren grundsätzlich die gleichen Kurse und Prüfungen wie für die Zwischenprüfung des Staatsexamensstudienganges „Erste Prüfung“ in Deutschland verlangt, anschließend erfolgt der Wechsel an die Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne in das dritte Jahr. Die ersten beiden Jahre zum deutschen Recht werden in Frankreich anerkannt, so dass die Studierenden im Erfolgsfall nach vier Jahren den deutschen Bachelor und die französische Maîtrise erlangen.

Das Studium mit dem Ziel „Erste Juristische Prüfung“ („Erstes Staatsexamen“) kann im Anschluss fortgesetzt werden. Zu beachten ist, dass nicht alle der oben erwähnten anderen Programme auch den Bachelorabschluss verleihen, da hierfür eine erfolgreiche Programmakkreditierung erforderlich ist.

Die Humboldt Universität verfolgt einen trinationalen Ansatz und ermöglicht ein integriertes Studium in Berlin, Paris und London. Die Universitäten Düsseldorf, Dresden (TU), Köln und Potsdam bieten außerdem einen einjährigen Masterstudiengang mit ihren französischen Partnern an. Köln und Düsseldorf ermöglichen eine Spezialisierung im deutschen und französischen Wirtschaftsrecht.

Wissens- und Kompetenzvorsprung

Auch wenn der Gedanke der Völkerverständigung bei diesen Doppelabschlussprogrammen nicht mehr im Vordergrund steht, sondern die Faszination des Studium iuris utriuesque (beider Rechte), heute natürlich nicht mehr des römischen und des kanonischen (kirchlichen) Rechtes, sondern des von zwei verschiedenen nationalen Rechtsordnungen, geht es bei den Programmen im Kern um das Zusammenwachsen der europäischen Partner durch gemeinsam ausgebildete Studierende. Die Absolventen dieser Doppelstudiengänge verfügen gegenüber Studierenden, die nur an einer nationalen Fakultät studiert haben, über einen deutlichen Wissens- und Kompetenzvorsprung.

Die Kölner Programmbeauftragten Dauner-Lieb, Mansel und Weigend betonen zu Recht, dass diese Studierenden das für die Rechtspraxis wie für die Rechtswissenschaft heute unverzichtbare international-komparative Denken erlernt und kontinuierlich praktiziert haben, und zwar nicht nur durch eine bloße Addition deutsch-rechtlicher und französisch-, englisch-, türkisch- oder italienisch-rechtlicher Module, sondern durch eine im Studiengang angelegte Verzahnung der beiden Materien.

Die Anziehungskraft, die von solchen binationalen Studiengängen ausgeht, liegt auch ganz besonders im Zusammenführen einer internationalen Studierendengruppe. Die Bereicherung, die Freude, die Vielfalt und die Exzellenz, die sich schon fast alleine durch die Gruppendynamik entfaltet, macht deutlich, dass es sich bei den Doppelabschlussprogrammen um die Königsklasse der „Bologna Programme“ handelt. Hier ist der Gedanke in Reinform verwirklicht, dass die im Ausland erbrachten Studienleistungen zu hundert Prozent angerechnet werden, in mindestens zwei Sprachen unterrichtet und geprüft wird und am Ende den Studierenden mindestens zwei Arbeitsmärkte offen stehen. Vor allem reifen die Studierenden zu vielseitigen, offenen Persönlichkeiten, die sich ein eigenes, meist nicht nur europa-, sondern weltweites Netzwerk während des Studiums in Deutschland und im Ausland aufbauen konnten. Von ihm werden sie ihr ganzes Leben profitieren.

Formung einzigartiger Persönlichkeiten

Die persönlichen Anforderungen an ein Doppelabschlussprogramm, sei es als Bachelor- oder Masterprogramm, sind hoch und erschöpfen sich nicht nur in sehr guten Sprachkenntnissen, sondern erfordern die stete Bereitschaft, sich neuen Herausforderungen zu stellen, unterschiedliche nationale Lern- und Lehrkulturen anzunehmen und zu meistern, ganz zu schweigen von den üblichen Klischees, mit denen man im anderen Land konfrontiert wird und die es zu überwinden gilt.

Diese Herausforderungen formen aber diese Studierenden zu den einzigartigen Persönlichkeiten, zu denen wir sie als Universität, als Einrichtung der Wissenschaft und Kultur, hinleiten möchten. Dieser Gedanke des gegenseitigen Austausches von Wissen und Kenntnissen ist so alt wie der europäische Gedanke der Universitäten, die sich niemals darauf beschränkt haben, ihren Studierenden nur regional begrenztes Wissen zu vermitteln, sondern ihre Studierenden zu weltoffenen Akademikern zu formen, die erfolgreich ihr Leben führen und die Gesellschaft prägen können. In diesen Programmen lassen sich die vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts beschriebenen „europäischen Juristen“ finden.

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Quelle NJW 33/2015