LL.M. Legal Theory – im Inland studieren wie im Ausland

von Prof. Dr. Lorenz Schulz, MA, Studienleiter des Masterprogramms LL.M. Legal Theory der Goethe-Universität in Frankfurt am Main

Juristische Weiterbildung im Ausland ist ein Muss für die Karriere deutscher Juristen in internationalen Kanzleien. Am besten in einem der gefragten Rechtsgebiete: law and finance, commercial law, governance, intellectual property.

Studieren im Ausland ist teuer. Das gilt besonders für Universitäten, die in den Rankings (z. B. Shanghai) oben stehen. Darüber hinaus hat der Bologna-Prozess auch bei den Juristen mittelbar bewirkt, dass weniger Studenten ins Ausland gehen. Deshalb: Geht Ausland auch im Inland?

Einem Rechtssystem auf den Grund gehen

Es geht bei einem englischsprachigen Programm mit überwiegend ausländischen Studierenden. Solche Programme sind in juristischen Fakultäten noch selten, weil der Unterricht zentral immer noch dem deutschen Recht gilt. Wer deshalb einem Rechtssystem und dem Recht generell auf den Grund gehen will, um sich für die globalisierte Praxis systemorientierte Kompetenzen anzueignen, wird kaum in Programmen in einem spezifischen Rechtsgebiet fündig.

Die Kompetenz, Regel und Fall zu verbinden, ist die juristische Schlüsselkompetenz der Juristen und verschafft ihnen im Berufsleben eine Sonderstellung, sofern damit die Fähigkeit zur Entscheidung einhergeht. Sie hilft zwar beim Erwerb der Kompetenz, die Beziehung zwischen den Prinzipien und Regeln des Rechts und deren spezifischer Anwendung in nationalen Rechtssystemen zu reflektieren, kann diese aber nicht ersetzen. Deren Erwerb mag fallbezogen in Schwerpunktprogrammen erfolgen. Mit Recht ist auch die Rechtsvergleichung im heutigen Studium mehr als eine Orchidee für Liebhaber und trägt Wichtiges bei, insbesondere den Sinn für die Differenz (braucht allerdings einen langen Atem, wenn sie mehr als einen Oberflächenvergleich leisten soll).

Was umfasst Legal Theory?

Das ureigene Feld der letztgenannten Kompetenz heißt in der angloamerikanischen Tradition „jurisprudence“ und in der kontinentalen, zugleich auch in Lateinamerika und in weiten Teilen Asiens zumeist „legal theory“, was im Deutschen jedenfalls Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie umfasst. Sie umfasst auch die „legal methods“, die im Rechtsvergleich ein breites Spektrum an Zugängen in der Vermittlung von Regel und Fall eröffnen.
Der am materiellen Recht orientierte deutsche Studierende bedarf der Sensibilität dafür, dass die prozessrechtliche Ausrichtung anderer Rechtssysteme zu Strategien des Rechtssystems führt, die sich erst mittelbar erschließen. So ist der verfassungsrechtliche Zwang zu einer systemorientierten argumentativen Begründung von Entscheidungen, den die deutsche Juristenausbildung lehrt, im Rechtsvergleich nicht die Regel. Auch „due process“ ist eine schiefe Übersetzung für „Rechtsstaat“. Im Strafrecht relativiert die Verfahrensorientierung die Unterscheidung in Rechtfertigung und Entschuldigung (siehe nur §§ 34, 35 StGB), die vielleicht größte Errungenschaft des deutschen Strafrechts.

Im Ergebnis erlaubt es die Kompetenz in „legal methods“, sich nahezu beliebig in neue Rechtsgebiete einzuarbeiten, weil dem Studierenden das gesamte Spektrum an Methoden in der angloamerikanischen und kontinentalen Tradition vertraut ist. Sie hilft auch beträchtlich, insbesondere bei supra-, inter- und transnationalen Rechtsproblemen kreativ zu praktischen Lösungen zu gelangen.

Die zentrale Frage von Rechtsrisiken präzise beantworten können

Das Recht basiert seit der Moderne auf dem Entscheidungszwang der Gerichte. Die Entscheidung folgt selten dem Anspruch, gerecht zu sein. In erster Linie geht es um Erledigung, die einer Art von Betriebsjustiz folgt. Das muss gelernt werden, ob man am Anspruch des Gerechten festhält oder nicht. Bei diesem Lernprozess hilft die Rechtsgeschichte und auch die Kulturgeschichte. Was wäre aus unserem Recht geworden ohne Alphabet und ohne Schrift? Und was wird aus ihm in Zeiten von Digitalisierung und Schriftlosigkeit? Der Rechtsgeschichte bedarf es u. a. auch, um den Islam juristisch befragen zu können. Allerdings ist das systematische Wissen über Gerechtigkeit nicht die Domäne der Rechtsgeschichte, sondern einer normativen Rechtstheorie.
Um die in der Praxis des Wirtschaftslebens zentrale Frage von Rechtsrisiken möglichst präzise beantworten zu können – eine Aufgabe, die sich vor allem jeder international ausgerichteten Kanzlei stellt –, muss man nicht nur das Funktionieren der Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz eines Landes gut kennen. Man braucht auch den Sinn für das Angemessene und Gerechte. Fälle wie Volkswagen in den USA und Apple in der EU lehren ein Defizit im Hinblick auf Durchbrechungen des für jedes Rechtssystem essentiellen Vertrauensschutzes. Geläufig ist uns die Gerechtigkeit als Korrektiv der Wahrheit. Wahrheit im Recht ist die Wahrheit nach einem Verfahren. Sie ist keine Goldmünze, die irgendwo versteckt und nur entdeckt werden muss. Wahrheit ist das Ergebnis eines konstruktiven Prozesses – eine Lektion, die bereits die altgriechischen Rechtslehrer (Sophisten) erteilten.

LL.M. Legal Theory in Deutschland – ein durch und durch europäisches Programm

An den deutschen Hochschulen gibt es nur ein Programm, das zu einem LL.M. Legal Theory führt. Auch international führen nur wenige und höchst teure Studiengänge dahin (beispielsweise in Kanada an der Universität von Toronto oder in den USA an der New York University). Das deutsche Programm an der Goethe-Universität ist ein durch und durch europäisches Programm, dessen Gründung EU-Mittel möglich gemacht haben. Aufgrund dieser Struktur lässt es sich mit anderen Programmen im Bereich der Rechtstheorie nicht vergleichen.
Die Erfahrungen der ersten Jahre haben zu einem ausgereiften Konzept geführt, in dem regelmäßig ein zentrales Wintersemester in Frankfurt mit Auslandsaufenthalten an Partneruniversitäten verknüpft wird. Im laufenden Studienjahr können Studierende nach Ablauf des Wintersemesters für die vertiefenden, anwendungsorientierten Wahlpflichtmodule wochenweise an Universitäten wie Stockholm, Brüssel und dem Europäischen Universitätsinstitut in Florenz gehen, um sich mit Themen wie IT-law and artificial intelligence, legal pluralism, governance, global law, cultural studies in law oder law and logic vertraut zu machen. Hinzu kommen optional Winter- oder Sommerschulen oder kurze Konferenzen (in Belgrad, Luzern, Glasgow oder Oxford). Die dreimonatige Abschlussarbeit kann nahezu flächendeckend an weiteren Universitäten in ganz Europa im Rahmen verfasst werden.

Nicht zuletzt dank renommierter Institutionen, die sich an der Goethe-Universität dem Gegenstand der juristischen und moralischen Normativität widmen (Cluster of Excellence „The Formation of Normative Orders“; Max-Planck-Institut zur Erforschung der Europäischen Rechtsgeschichte) bietet das Programm die Möglichkeit, maßgebliche Vertreter der legal theory in ihrer internationalen Ausprägung auch persönlich kennenzulernen. Hinzu kommt die aufregende und wertvolle interkulturelle Erfahrung einer überschaubaren Klasse von Studierenden aus der gesamten Welt.

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Quelle NJW 45/2016