Jurastudium mit Hindernissen – Warum gibt es so wenige Women of Color in der Rechtswissenschaft?

von Nergis Zarifi und Mia Marie Kundy

Immer noch werden Frauen in der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis benachteiligt. Gleich doppelt betroffen sind nichtweiße Frauen, die sich häufig mindestens zweifacher Diskriminierung ausgesetzt sehen. Die Beseitigung diskriminierender Strukturen im Recht ist ein langfristiger Prozess, der die Teilnahme sowohl betroffener als auch nicht betroffener Rechtswissenschaftler*innen erfordert.

Diversitätsmangel in Theorie und Praxis

An den juristischen Fakultäten in Deutschland fällt auf, dass im Vergleich zum etwa hälftigen Anteil an Studierenden nur wenige Professuren mit Frauen besetzt sind. Mindestens genauso erschreckend ist der sehr geringe Anteil von People of Color (PoC) unter den Dozierenden. Dass weibliche PoC in der Rechtswissenschaft unterrepräsentiert sind, liegt an verschiedenen Zugangshindernissen. So ist Jura ein sozial sehr exklusives Fach, in dem Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund im Examen systematisch schlechter bewertet werden. Weiterhin werden in der Ausbildungsliteratur häufig sexistische und rassistische Stereotype bedient, was abschreckend wirkt und die Leistung der Betroffenen durch den sogenannten stereotype threat tatsächlich beeinträchtigen kann. Progressive und kritische Rechtstheorien wie die Critical Race Theory oder die Feministische Rechtswissenschaft sind in der Lehre kaum vorzufinden. Es fehlt meist sogar an empirischen Daten über PoC in der Rechtswissenschaft. Der Mangel an Diversität spiegelt sich auch in der Rechtspraxis wider und stellt ein Problem für das gesamte Rechtssystem dar. Zu einseitige rechtswissenschaftliche Forschung und exkludierende Rechtsprechung bergen nämlich die Gefahr von Kontinuitäten, die die Lebensrealität einer signifikanten Bevölkerungsgruppe verkennen.1

Nachholbedarf bei der Aufklärungs- und Antidiskriminierungsarbeit

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) hat sich als Zusammenschluss von Juristinnen, Volks- und Betriebswirtinnen zum Ziel gesetzt, die Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen herzustellen. In Kommissionen und Arbeitsstäben werden rechts- und sozialpolitische Forderungen erarbeitet. Im Arbeitsstab Ausbildung und Beruf beschäftigen wir uns damit, die strukturellen Benachteiligungen von Frauen und weiteren marginalisierten Gruppen in der juristischen Ausbildung sichtbar zu machen und Gegenmaßnamen zu entwickeln. Schwerpunkte unserer Arbeit sind die Aufdeckung und Bekämpfung struktureller Benachteiligungen von Frauen und Menschen mit zugeschriebenem Migrationshintergrund beim Einstieg in die Wissenschaft und Lehre, aber auch während der juristischen Ausbildung selbst. Hier wird Diskriminierung beispielsweise immer noch durch stereotype Übungssachverhalte in der mündlichen Prüfung der beiden Staatsexamina gefördert. Weiterhin ist der Arbeitsstab maßgeblich an aktuellen Debatten und Veröffentlichungen von Stellungnahmen und Pressemitteilungen zu Reformvorhaben beteiligt. Wir bieten darüber hinaus Workshops an Universitäten an, die feministische Perspektiven auf das Recht beinhalten und abseits des Pflichtstoffs die kritische Reflexion und Auseinandersetzung mit dem Recht ermöglichen. Unsere Kolleginnen betreiben außerdem den Instagram-Kanal „Üble Nachlese“, der den immer noch existierenden Sexismus, Rassismus und Klassismus in der juristischen Ausbildung ad absurdum führt und auf humorvolle Art und Weise diskriminierungsfreie Alternativen aufzeigt.

Mit Strukturreformen zu einem diverse(re)n Rechtssystem

Die Stärkung diversitätsfördernder Strategien steht somit an erster Stelle. Im Rahmen von Mentoring-Programmen können etwa safe spaces entstehen, in denen Betroffene ihre Erfahrungen teilen und andere Studierende kennenlernen können, die ihnen beratend zur Seite stehen. Daneben sind auch Maßnahmen erforderlich, die die strukturelle Dimension des Problems adressieren. Sowohl an den Lehrstühlen der Universitäten und ihrer Verwaltung als auch innerhalb der Studierendenschaft bedarf es geschulten Personals, das diese Problematik erkennt und seine Handlungsmöglichkeiten in Gremien und Räten zu ihrer Beseitigung einsetzt. Auch die Erweiterung wissenschaftlicher Perspektiven durch das Inkludieren von Erfahrungswerten weiblicher PoC ist essenziell, um noch immer wenig erforschte Publikationsfelder abzudecken. Bildungsbiografische Hürden für ein Studium der Rechtswissenschaft können so abgebaut werden, sodass sich in den Fakultäten ein Klima einstellt, welches das Bewusstsein für den Umgang mit Diversität schärft. Gemeinsam können wir Rahmenbedingungen für ein Rechtssystem schaffen, in dem Diversität nicht bloß eine leere Floskel ist, sondern tatsächlich gelebt wird.

1Vgl. Grünberger, M., Mangold, A., Markard, N., Payandeh, M., Towfigh, E.: Diversität in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis. Ein Essay. Baden-Baden: Nomos, 2021.

Über die Autorinnen:

Nergis Zarifi
studiert an der Universität Hamburg Jura und engagiert sich im Deutschen Juristinnenbund (djb) auf Landes- und Bundesebene. Sie ist im Landesverband Hamburg Ansprechpartnerin für junge Juristinnen mit Diskriminierungserfahrungen und Mitglied des Arbeitsstabs Ausbildung und Beruf.

Mia Marie Kundy
hat an der Universität Münster Jura studiert und beginnt nun ihr Referendariat am OLG Bremen. Sie ist Mitglied des Arbeitsstabs Ausbildung und Beruf des Deutschen Juristinnenbundes (djb).
ausbildungundberuf@djb.de

Der Beitrag ist erstmals erschienen in der JuS 04/23.