Warum es sich lohnt, im Erbrecht tätig zu sein

von Maria Demirci

»Jura ist doch furchtbar trocken. Warum machst du das überhaupt?« Dieses Vorurteil muss sich wohl jeder Referendar während seiner Ausbildung einige Male anhören. Die Antwort  lautet: Jura kann trocken sein. Das Erbrecht ist es auf keinen Fall. Das liegt ganz eindeutig daran, dass jedem Fall eine Familiengeschichte zugrunde liegt, und die hat es oft in sich. Da gibt es den verlorenen Sohn, der  unvermittelt nach dem Erbfall auftaucht und die Stiefmutter unter Druck setzt, oder das Ehepaar, das alle Kinder gleich bedenken möchte, aber leider keine gleichwertigen Immobilien verteilen kann. Besonders spannend und juristisch komplex wird es, wenn Vermögen im Ausland betroffen ist oder wenn es um Unternehmensbeteiligungen im Nachlass geht.

Im Erbrecht menschelt es und das ist gut so!

Die juristische Ausbildung an der Universität und auch im Referendariat streift das Erbrecht leider nur und so wusste ich zu Beginn meiner Tätigkeit als Rechtsanwältin nicht, was konkret auf mich zukommt. Abgesehen von diversen Berechnungen gesetzlicher Erbquoten und einigen kurzen Ausflügen ins Pflichtteilsrecht, hatte ich nicht wirklich viel vom Erbrecht mitbekommen. Die ersten Mandantengespräche waren dann umso mehr wie eine Offenbarung für mich und zwar sowohl in rechtlicher als auch in zwischenmenschlicher Hinsicht.

Das Erbrecht gilt landläufig als Königsdisziplin des Zivilrechts, weil man als Jurist mit der Kenntnis des 5. Buchs des BGB alleine nicht weit kommt. Verstirbt ein Mensch oder plant er seine Vermögensnachfolge, vereinigt er in sich sämtliche Rechtspositionen, die das gesamte Recht in zivilrechtlicher, öffentlich-rechtlicher und manchmal sogar in strafrechtlicher Hinsicht bietet. All diese rechtlichen Beziehungen wollen bedacht sein, wenn man für einen Mandanten die Vermögensnachfolge plant und seinen letzten Willen gestaltet. Dasselbe gilt, wenn der Erbfall bereits eingetreten ist. Werden beispielsweise im Zuge einer Erbauseinandersetzung Immobilien zu Geld gemacht, kann das weitgreifende ertragsteuerliche Konsequenzen haben. Wer das übersieht, hat hoffentlich eine gute Berufshaftpflichtversicherung.

Erbrecht ist Gedanken-Schach

Die Rechtsmaterie ist komplex. Man muss lernen, um die Ecke zu denken, und man muss wie beim Schach den nächsten, besser sogar noch den übernächsten Zug des Gegners und die eigene Antwort mitbedenken, bevor man reagiert. Genau das macht das Erbrecht aber gleichzeitig auch so spannend. So jedenfalls bringen wir es unseren Referendaren in der Kanzlei bei.

Das Erbrecht ist nicht nur juristisch anspruchsvoll, sondern auch zwischenmenschlich fordernd. Ich werde nie vergessen, wie ich vor vielen Jahren einmal einen auswärtigen Termin bei einer leukämiekranken Mandantin wahrnehmen durfte, die noch rechtzeitig ihr Testament errichten wollte. Das Bild ihres fünfjährigen Sohnes, der im Garten Ball spielte, während ich mit ihr am Küchentisch saß und mir Notizen machte, geht mir mein Leben lang nicht mehr aus dem Kopf. Auch lustige Szenen bleiben zum Glück in Erinnerung. So weiß ich noch gut, wie ein über 80-jähriger Mandant einmal die eine Freundin heiraten und die andere adoptieren wollte, um die Pflichtteilsquoten der aus erster Ehe stammenden Söhne zu drücken

Gestorben wird immer

Das Erbrecht ist ein krisensicheres Geschäft. Der Tod ist für uns alle schließlich unausweichlich. Jährlich vererben die Deutschen rund 300 Milliarden EUR und damit geht die Arbeit einem im Erbrecht tätigen Juristen sicherlich nicht so schnell aus. Gemessen an diesen Zahlen ist es durchaus erstaunlich, dass die seit 2006 bestehende Fachanwaltschaft nach aktuellen Zahlen immer noch nur 2016 Kollegen deutschlandweit umfasst (vgl. Statistik BRAK aus dem Jahr 2019). Vergleicht man das mit der über 10.000 mitgliederstarken Fachanwaltschaft für Arbeitsrecht, geht es im Erbrecht damit beinahe noch familiär zu. Dabei wird qualifizierter Nachwuchs unbedingt gebraucht. Das Erbrecht ist keine Disziplin für graumelierte, alte Herren. Wir brauchen junge, kreative Köpfe, die geistig im 21.Jahrhundert angekommen sind. Nur so wird es uns gelingen, den Anforderungen, die die digitale Welt an uns stellt, bei der Gestaltung der Vermögensnachfolgeplanung für unsere Mandanten, aber auch bei der prozessualen Vertretung vor Gericht gerecht zu werden.

 

Über die Autorin:

Maria Demirci
Rechtsanwältin und Fachanwältin 
für Erbrecht und Familienrecht