Fake beim juristischen Übersetzen? – Vorsicht vor „falschen Freunden“

Übersetzer vor Gericht
von Corinna Schlüter-Ellner

Gefahren und Missverständnisse bei unreflektiertem Übersetzen juristischer Begriffe

„Falsche Freunde“ beim Übersetzen gaukeln täuschend echte Bedeutungen vor. Wörter, die in Ausgangs- und Zielsprache gleich oder ähnlich klingen, verführen zur Gleichsetzung. Auch im juristischen Bereich kommen sie vor, etwa Revision, im deutschen Prozess ein Rechtsmittel, welches das Urteil nicht rechtskräftig werden lässt, und das Pendant revisión, das auch im spanischen Prozess vorkommt, dort aber Wiederaufnahme des Verfahrens bedeutet und sich gegen ein bereits rechtskräftiges Urteil wendet. Die spanische Übersetzung für Revision ist hingegen casación.

Wenn man sich bei der Übersetzung allein vom Klang leiten lässt, zeugt das natürlich nicht von Fake, also einer Fälschungsabsicht, sondern von mangelndem Hinterfragen, was beim Übersetzen im Kopf von Autor, Übersetzer und Zielleser passiert. Andernfalls würde man beachten, dass die jeweiligen Rechtsordnungen, die hinter Ausgangs- und Zielbegriff stehen, das Verständnis von Autor und Leser eventuell unterschiedlich prägen und dass man Rechtsvergleichung betreiben muss, um etwaige Abweichungen festzustellen und daraus resultierende Missverständnisse im Vorfeld auszuräumen. Dazu muss man die Definitionen in beiden Rechtsordnungen gegenüberstellen.

Dann stößt man auf eine weitere Variante „falscher Freunde“: zusammengesetzte oder mehrgliedrige Ausdrücke werden durch schematische Übersetzung der Elemente nicht unbedingt erfasst, selbst wenn die Bestandteile richtig übertragen sind. So stellt man die Verhältnisse auf den Kopf, wenn man den Notarassessor mit asesor notarial als Berater des Notars übersetzt. Oder man degradiert den spanischen Regierungschef um zwei Stufen, wenn man seine Amtsbezeichnung presidente del Gobierno mit Regierungspräsident überträgt.

Keine Patentlösung beim juristischen Übersetzen – Auf den rechtlichen Kontext kommt es an

Wie weit man bei der Gegenüberstellung der Definitionsmerkmale vordringen muss, um über die Äquivalenz zu entscheiden, lässt sich nicht allgemein beantworten. Vielfach hängt die Übersetzung vom Kontext ab. Soll man etwa contract nicht als Übersetzung für Vertrag anerkennen, weil zwar Übereinstimmung in Bezug auf die Merkmale der beiderseitigen Einigung über ein bestimmtes Objekt besteht, englische Verträge aber zusätzlich noch die consideration aufweisen müssen? Dann wären contract und Vertrag semantische „falsche Freunde“, bei denen nicht der Klang, sondern die inhaltliche Bedeutung Äquivalenz vorgaukelt, wenn man bei der Rechtsvergleichung nicht alle relevanten Elemente prüft.

So drängt sich beim deutschen Pflichtteil und der spanischen legítima der Aspekt auf, dass es sich in beiden Rechtsordnungen um einen Teil des Erbes handelt, der den nahen Familienangehörigen vorbehalten ist. Würde man sich mit dieser Parallele zufriedengeben, so würde man übersehen, dass die mit der légitima Bedachten in Spanien Miterben sind, während die deutschen Pflichtteilsberechtigten außerhalb der Erbengemeinschaft stehen und nur die Hälfte ihres gesetzlichen Erbes in Geld beanspruchen können. Vererben deutsche Eltern ein Grundstück in Spanien, so würde der Registerführer in Spanien also nicht nur die erbenden, sondern auch etwaige auf den Pflichtteil gesetzten Kinder für Neueigentümer halten und ihre Beteiligung am Registerverfahren fordern.

Verfahrensverfälschung durch falsche Übersetzungen im Recht

Unbemerkte „falsche Freunde“ können nicht nur Verfahren komplizierter machen, sondern auch zu materiell-rechtlichen Fehleinschätzungen führen. Beispielsweise macht es bei der Berücksichtigung von Vorstrafen natürlich einen Unterschied, wenn der erkennende Richter durch die Übersetzung der spanischen Straftat des robo mit Raub davon ausgeht, dass der mutmaßliche Täter schon einmal Menschen angegriffen hat, während dieser tatsächlich „nur“ einen Einbruchsdiebstahl begangen hat, denn robo gibt es in zwei Begehungsformen: Wegnahme mit Gewalt gegen Personen oder mit Kraftanwendung gegen Sachen. 

Rechtsvergleichung als Grundstein für korrektes Übersetzen

Bei der Rechtsvergleichung als Grundlage des juristischen Übersetzens muss man auch beachten, dass ein Begriff von Land zu Land unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Ob etwa die transformación einer Gesellschaft für die Schweiz übersetzt werden soll (dann mit Umwandlung) oder für Deutschland (dann mit Formwechsel), müssen sich der Übersetzer oder übersetzende Jurist vorher klarmachen. Wenn man in internationalen Zusammenhängen die englische Sprache als Lingua franca verwendet, ist zu bedenken, dass dahinter meist keine konkrete englischsprachige Rechtsordnung steht. In einem Rechtsfall, in dem es z.B. um propiedad intelectual nach spanischem Recht geht, die Rechtsanwälte dann über intellectual property korrespondieren und in dem schließlich vor deutschen Gerichten geklagt wird, ist zu beachten, dass die deutsche Übersetzung geistiges Eigentum für die spanische Rechtsfigur zu weit gefasst ist, denn mit propiedad intelectual sind nur Urheberrechte gemeint, daneben gibt es propiedad industrial, gewerbliche Schutzrechte.

In Abwandlung der Juristenweisheit „Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung“ kann man also nur raten: „Ein Blick auf die Definitionen schützt vor falschen Freunden“.

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Über die Autorin:

Corinna Schlüter-Ellner
ist Volljuristin und allgemein beeidigte Übersetzerin für Spanisch in Ottobrunn/ München. Sie war 17 Jahre als Dozentin für juristisches Übersetzen tätig und ist Mitautorin des deutsch-spanischen Rechtswörterbuchs von Becher (Verlag C.H.Beck).

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Dieser Beitrag erschien erstmals in der NJW 44/23.