Heute schon an morgen denken – Karrieremanagement für Rechtsanwälte*

von Liane Allmann

* Natürlich sind auch immer Rechtsanwältinnen angesprochen. Für die bessere Lesbarkeit verwende ich lediglich die männliche Form.

Der Bewerbermarkt im Kanzleiumfeld spitzt sich rasant zu. Auf einmal haben selbst renommierte Kanzleien „ein Problem“, denn sie finden keine jungen Rechtsanwälte mehr. Nicht selten haben Kanzleien es versäumt, sich mit Themen wie Markenbildung, Image, Strategie und der eigenen Wertewelt zu beschäftigen. Kanzleien geraten zunehmend unter Druck, denn die Arbeit ist da. Aber wer soll sie machen?

Wie junge Anwälte die aktuelle Situation nutzen können, um einen echten Match zu finden, und worauf sie besonders achten sollten, beleuchtet dieser Artikel.

Schritt 1: Nosce te ipsum – erkenne Dich selbst

Karriereplanung liegt heute in den Händen der Junganwälte. Noch vor ein paar Jahren war das eher Aufgabe der Kanzlei. Es gab automatisierte Steps nach x Jahren und dem Umsatzvolumen von y. Das gibt es heute auch noch, aber wenn man die Karriere selbst gestalten will, muss man wissen, was man kann und womit man glücklich wird.

Aus diesem Grund ist die Basis eines erfolgreichen, selbstbestimmten Eigenmarketings eine Stärken-Schwächen-Analyse. Da muss man dann auch ganz ehrlich mit sich zu sein. Häufig weicht die Eigenwahrnehmung von der Realität ein Stück weit ab, oder es fällt überhaupt schwer zu erkennen, was man will, gut kann, was einen Flow erzeugt und damit letztlich zum beruflichen Glück führt. Wer sich hier schwertut, dem empfehle ich ein Karriere-Coaching.

Regelmäßig sehe ich auch Junganwälte, die ihr Licht unter den Scheffel stellen. Sie glauben, Angst vor dem Mandantenkontakt haben zu müssen, vor Forensik und der Übernahme von Verantwortung. Gerade deshalb ist es wichtig, sich einen sehr guten Mentor zu suchen. Einen, der dem jungen Anwalt Sicherheit gibt, denn die ersten Erfahrungen im Beruf prägen.

Wem es gelingt, einen wohlwollenden und wertschätzenden Leader zu finden und ausreichend auf sein eigenes Bauchgefühl zu hören, hat sehr gute Chancen für einen hervorragenden Berufseinstieg mit viel Freude.

Schritt 2: Willst Du mit mir gehen? Erkenne Deine Kanzlei!

Ganz ehrlich? Mehr als genügend Kanzleien präsentieren sich im Bereich HR von einer Seite, die sie im Zweifel gar nicht leben. Deshalb appelliere ich dringend an Ihre kritische Haltung.

Stimmen die Aussagen auf der Homepage ggf. mit den Aussagen bei Bewertungsportalen überein? Gibt es evtl. Bekannte, die ich fragen kann, und kennt irgendwer aus meinem Netzwerk meinen potentiellen Chef? Hat schon mal einer für ihn gearbeitet und kann ihn charakterlich beschreiben?

Schlussendlich ist es nicht nur die Kanzlei, die Sie happy oder unhappy macht, sondern der Partner, der direkt mit Ihnen arbeitet (oder eben nicht). Kaum etwas wird von Junganwälten so schlimm empfunden wie die Isolation und der Unwille des Vorgesetzen, junge Kollegen in strategische Mandatsbearbeitung mit einzubeziehen oder ein Mentor zu sein.

Deshalb: Augen auf bei der Partnerwahl! Und auch hier gilt: Machen Sie sich bewusst, was Ihnen wirklich wichtig ist. Wenn es zum Beispiel die Partizipation ist, formulieren Sie das schon beim Bewerbungsgespräch mit dem Partner und reflektieren Sie die Antworten, die Reaktionen und die Angebote.

Schritt 3: Onboarding

Wenn die Kanzlei der Wünsche gefunden ist und die Vorstellungsgespräche ein richtig gutes Gefühl hinterlassen haben, kann es losgehen. Natürlich muss man sich erstmal in den Kanzlei-Alltag einfinden – muss schauen, wie der Hase läuft, und hält sich erstmal auch als Beobachter zurück.

Aber – warten Sie mit Ihren Eigenmarketing-Aktivitäten nicht zu lange ab. Nehmen Sie sich auf jeden Fall die Zeit, um zum Beispiel über folgende Dinge nachzudenken:

– Wohin will die Kanzlei? Was sind die Schwerpunkte? Welchen Beratungsschwerpunkt hat die Kanzlei? Gibt es Potential, das noch nicht erschlossen ist?

– Wird schon jeder Kanal genutzt, um Zielmandanten zu erreichen und das gewünschte Image zu bilden?

– Was machen Wettbewerber, die ich richtig gut finde? Kann man hier lernen?

– Gibt es bei mir besondere Fähigkeiten/Interessen, die ich in den Dienst meiner Kanzlei stellen kann?

Nicht wenige Kanzleien sind derzeit mit Themen, die die Digitalisierung mit sich bringt, überfordert, zum Beispiel mit:

– Erstellung wirksamen Contents für das Netz,

– Umgang mit Social Media oder auch

– Legal Tech.

Es klafft häufig eine Kenntnislücke zwischen den Entscheidern innerhalb der Kanzleien und den Junganwälten. Wenn ein junges Talent, das schon früh unternehmerisch denkt und internet- und ggf. technikaffin ist, sich innerhalb der Kanzlei geschickt platziert, lassen auch die Außenwirkung und damit der erste Step im wirksamen Eigenmarketingprozess nicht lange auf sich warten.

Fazit: Nur Mut – nutzen Sie den Kenntnis-Gap!

Wenn Sie also Interesse haben, Karriere zu machen, denken Sie bei allen Schritten vom Ende her:

Wohin wollen Sie und welche Themen können Sie heute schon besetzen? Können Sie komplexe, juristische Inhalte zum Beispiel journalistisch und für das Netz wirksam aufbereiten?

Dann bieten Sie das an. Wenn Sie es noch nicht können, es Sie aber interessiert, bieten Sie an, sich in diesem Bereich weiterzubilden. Nutzen Sie diese Möglichkeiten, sich selbst aufzuwerten. Das geht heute nicht mehr nur über hervorragende juristische Arbeit, sondern über das Beherrschen von Softskills.

Über die Autorin:

Liane Allmann
Dipl.-Betriebswirtin und Inhaberin
der auf Anwälte spezialisierten Strategie-
und Kommunikations-Agentur Kitty & Cie.
sowie zertifizierte Competence-Trainerin (SHB),
Change-Managerin und Coach

www.kitty-cie.de

www.legal-coach.de

Hier können Sie die NJW, die führende Fachzeitschrift für Juristen mit den wichtigsten Neuigkeiten aus der ganzen Welt des Rechts, kostenlos testen.

Quelle BECK Stellenmarkt 5/2020