Talentmanagement statt Recruiting! - Berufsbegleitendes Studium im Wirtschaftsrecht als Instrument der Mitarbeiterqualifizierung und Mitarbeiterbindung

von Sonja Sälzle

In Zeiten des Fachkräftemangels wird Recruiting nicht nur für Kanzleien und Dienstleistungsunternehmen zur Hercules-Aufgabe.

Für das zweite Quartal 2017 meldete das Statistische Landesamt Baden-Württemberg für das Bundesland 106.686 offene Stellen bei einer Arbeitslosenquote von 3,45 %.1 Der Fachkräftemarkt ist leergefegt, die Unternehmen wetteifern gegenseitig um die Hochschulabgängerinnen und -abgänger mit juristischen Fachkenntnissen, da die Verrechtlichung in vielen Unternehmensbranchen kontinuierlich zunimmt.

Recruiting ist nicht immer die beste Lösung

Recruiting bindet jedoch zunehmend Ressourcen im Personalbereich oder verursacht hohe Kosten durch die Beauftragung von externen Personaldienstleistern. Hinzu kommen die Kosten, die durch wochenlange Vakanzen entstehen. Dies geht zulasten einer strukturierten Einarbeitung bzw. einer Übergabe von Aufgaben.

Aufgrund der Fokussierung auf neue Fachkräfte vergeben sich Arbeitgeber die Chance, ihre vorhandenen Juwelen zu schleifen. Talentmanagement und Retention Management sind die Alternative. Dahinter verbirgt sich eine Fülle an Maßnahmen, um gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, (motiviert) zu halten und weiter zu qualifizieren. Die große Chance des Talentmanagements wird zu wenig genutzt, da dies auf den ersten Blick mehr Aufwand mit sich bringt, als eine vakante Stelle extern zu besetzen.

Talentmanagement – in bereits vorhandenes Personal investieren

Auf den zweiten Blick überwiegen jedoch die Vorteile. Die Beschäftigen sind bereits eingearbeitet und kennen die Unternehmenskultur, die einzelnen Abteilungen und die entsprechenden Abläufe. Die Vorgesetzten können ein weit differenzierteres Bild über die Leistungen und Kompetenzen geben, als dies durch ein Bewerbungsgespräch oder ein Assessment möglich wäre.

Werden engagierte Beschäftigte gezielt gefördert und weiterqualifiziert, erhöht dies in den meisten Fällen die Loyalität zum Unternehmen sowie die Motivation. Die Herausforderung liegt im Anschluss an die Qualifizierung. Kommen die neu erworbenen Kenntnisse und Kompetenzen nicht zum Einsatz, kann dies negative Folgen auf das Arbeitsengagement haben.

Eine vielversprechende Maßnahme im Rahmen des Talentmanagements ist ein berufsbegleitendes Studium, beispielweise an der Schnittstelle Wirtschaft und Recht. Diese Studienprogramme finden als Fernstudium parallel zur Berufstätigkeit statt. Der Arbeitgeber geht, im Gegensatz zu einem dualen Studium, keine vertragliche Verpflichtung mit der jeweiligen Hochschule ein. Der Beschäftigte arbeitet weiterhin im Unternehmen und ist lediglich zu wenigen kompakten Präsenzeinheiten an der Hochschule.

Die Modelle des berufsbegleitenden Studiums differieren je nach Hochschule – folgen jedoch immer der gleichen Logik: Statt Vollzeitstudium umfasst das berufsbegleitende Modell einen Mix aus kompakten Präsenzveranstaltungen (z. B. Blockwochen), E-Learning-Einheiten und Selbstlernphasen anhand von Studienskripten, Lernvideos, virtuellen Lerngruppen u. a.

Im Rahmen eines Weiterbildungsvertrages können die Rahmenbedingungen individuell festlegt werden. Hier bestehen vielfältige Modelle für die Arbeitgeber: Manche Unternehmen unterstützen das Studium durch eine teilweise oder vollständige Übernahme der Studiengebühren und/oder kommen den Beschäftigten mit Arbeitsreduzierung oder Abbau von Überstunden entgegen.

Andere Unternehmen vereinbaren ein Modell, bei dem die Arbeitszeit vorgearbeitet und somit angespart wird, um dann in den Folgejahren für die Studienblöcke verwendet zu werden. Im Gegenzug verpflichtet sich die/der Studierende, wenn sie/er das Unternehmen früher als drei bzw. fünf Jahre nach Abschluss des Studiums verlässt, die entstandenen Kosten anteilig selbst zu bezahlen.

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass Weiterbildungsverträge zwar rechtlich umstritten, dennoch im Talentmanagement gängige Praxis sind.

Vielfältige und flexible Angebote für ein berufsbegleitendes Studium

In Baden-Württemberg besteht die Möglichkeit, sowohl auf Bachelor- als auch auf Masterniveau berufsbegleitend zu studieren.

Zielgruppe für berufsbegleitende Bachelorstudiengänge sind Beschäftigte mit einer abgeschlossenen Ausbildung, Berufserfahrung oder einer Aufstiegsfortbildung (z. B. Fachwirt, Steuerberater, Betriebswirt). Hierbei ist wichtig zu wissen, dass ein Studium auch ohne Abitur möglich ist, da die Berufsausbildung diese Zugangsvoraussetzung ersetzen kann.

So können gerade engagierte ehemalige Auszubildende mit einem berufsbegleitenden Studium im Unternehmen bleiben und sich parallel für qualifiziertere Aufgaben weiterbilden.

Berufsbegleitende Masterstudiengänge sind für Berufstätige ausgelegt, die bereits einen ersten akademischen Abschluss (z. B. Bachelor oder erstes juristisches Staatsexamen) erworben haben und die mindestens ein Jahr Berufserfahrung mitbringen. Die Mehrzahl der berufsbegleitenden Studienangebote ist inzwischen modular angelegt, d. h., Interessierte haben die Möglichkeit, auch einzelne Module als Weiterbildung auf Hochschulniveau zu belegen.

Später können diese Module auf den entsprechenden Studiengang angerechnet werden. Dies verspricht für die Mitarbeiter eine noch größere Flexibilität und die Möglichkeit, das Studium neben dem Beruf zeitweilig für sich auszuprobieren.

Viele Hochschulen bieten zwischenzeitlich berufsbegleitende Bachelor- und Masterstudiengänge im Bereich Wirtschaftsrecht an. Diese Studiengänge sind eine attraktive Alternative zur Ausbildung als Volljurist. In vielen Unternehmen bearbeiten zunehmend Wirtschaftsjuristen inhouse juristische Fachfragen und Tätigkeiten, die bisher an Kanzleien gegeben wurden.

Machen Sie Ihre engagierten und studieninteressierten Beschäftigten auf die Möglichkeit eines berufsbegleitenden Studiums Wirtschaftsrecht aufmerksam. Fördern Sie Ihre High Potentials und binden diese gleichzeitig an Ihr Unternehmen.

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1 Statistisches Landesamt BW: https://www.statistik-bw.de/Arbeit/Arbeitslose/AL-Quartal.jsp

Über die Autorin:

Sonja Sälzle
stellvertretende Leiterin des Zentrums für wissenschaftliche
Weiterbildung an der Hochschule Biberach, arbeitete davor
viele Jahre als Personalentwicklerin in verschiedenen Unternehmen

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Quelle NJW 13/2018